RVG § 22
Leitsatz
Der Senat versteht § 22 Abs. 2 S. 2 RVG dahin, dass der Streitwert für jede von mehreren Parteien, die durch denselben Prozessbevollmächtigten vertreten werden, auf bis zu 30 Mio. EUR festgesetzt werden kann und diese Beträge auch dann zu addieren sind, wenn es sich um dieselbe Angelegenheit handelt.
OLG Köln, Beschl. v. 26.6.2009–18 U 108/07
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte im zugrunde liegenden Rechtsstreit von den beiden durch dieselben Prozessbevollmächtigten vertretenen Beklagten als Gesamtschuldner die Zahlung von über 112 Mio. EUR verlangt. Nachdem der Senat in seinem Urteil vom 28.5.2009 den Streitwert im Hinblick auf § 39 Abs. 2 GKG auf bis zu 30 Mio. EUR festgesetzt hatte, haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Festsetzung des Streitwertes auf (2 x 30 Mio. EUR =) 60 Mio. EUR beantragt.
2 Aus den Gründen
Dem Antrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist zu entsprechen. Der Senat versteht § 22 Abs. 2 S. 2 RVG dahin, dass der Streitwert für jede von mehreren Parteien, die durch denselben Prozessbevollmächtigten vertreten werden, auf bis zu 30 Mio. EUR festgesetzt werden kann und diese Beträge auch dann zu addieren sind, wenn es sich um dieselbe Angelegenheit handelt (ebenso OLG Dresden, Beschl. v. 26.7.2006–10 W 600/06, AGS 2007, 522; Bischof, in: Bischof u.a., RVG, 3. Aufl. 2006, § 22 Rn 61 f.; Römermann, in: Hartung/Römermann/Schorn, RVG, 2. Aufl. 2006, § 22 Rn 26; a.A. N. Schneider, in: Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl. 2008, § 22 Rn 25 ff.; Madert, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, § 22 Rn 8; die von der Klägerin noch zitierte Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein AnwBl 2002, 186 bezieht sich nicht auf diese Frage).
Der Gesetzgeber spricht in § 22 Abs. 2 S. 2 RVG ebenso wie in § 7 Abs. 1 RVG und Nr. 1008 VV von "derselben Angelegenheit", ohne darauf abzustellen, ob es sich um einen oder mehrere Gegenstände handelt. Die Verwendung identischer Begriffe spricht dafür, dass der Gesetzgeber auch dieselben Sachverhalte regeln wollte. Dann stellt § 22 Abs. 2 S. 2 RVG aber eine Ergänzung zu § 22 Abs. 1 RVG dar, wonach grundsätzlich in derselben Angelegenheit nur verschiedene ("mehrere") Gegenstände zusammenzurechnen sind. Im Falle des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG sind dagegen auch dieselben Gegenstände zusammenzurechnen, solange der einzelne Auftraggeber dadurch nicht einem höheren Anspruch ausgesetzt wird, als er bei einem Streitwert von 30 Mio. EUR entstehen würde. Zweck der Regelung war es nämlich nicht, die Einkünfte der Rechtsanwälte zu begrenzen, sondern es ging um die Begrenzung des Kostenrisikos der Auftraggeber (BT-Drucks 15/1971, S. 154, 195). Dieses Ziel wird aber bereits dadurch erreicht, dass den einzelnen Auftraggeber kein höheres Kostenrisiko trifft, als wenn der Streitwert lediglich 30 Mio. EUR betragen würde. Die Risikobegrenzung für den einzelnen Auftraggeber erfordert es dagegen nicht, den Gesamtstreitwert – jedenfalls bei demselben Gegenstand – auf 30 Mio. EUR zu beschränken, denn dadurch würde das Haftungsrisiko bei einer Mehrheit von Auftraggebern deutlich unter 30 Mio. EUR herabgemindert, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund geben würde. Hierzu bestände im konkreten Fall umso weniger Veranlassung, als die Klagen gegen beide Beklagte erst nachträglich miteinander verbunden worden sind, so dass anfänglich beide Beklagte ohnehin dem Kostenrisiko bezogen auf einen Streitwert in Höhe von jeweils 30 Mio. EUR ausgesetzt waren. Auch hat sich die Klägerin selbst gegenüber jedem der beiden Beklagten durch eine andere Anwaltskanzlei vertreten lassen mit der Folge, dass auch hier die Gebühren doppelt anfallen.
3 Anmerkung
Der Leitsatz des OLG Köln heißt vereinfacht ausgedrückt: "Das OLG Köln versteht das Gesetz nicht."
Das OLG verkennt die Grundsätze der Streitwertberechnung. Nur die Werte verschiedener Gegenstände können zusammengerechnet werden. Hier lag aber derselbe Gegenstand vor. Daher kam eine Wertaddition nicht in Betracht.
Der Mehraufwand des Anwalts wird bei demselben Gegenstand durch die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV berücksichtigt. Auch bei mehreren Auftraggebern kann der Wert desselben Gegenstandes nicht die Höchstgrenze von 30 Mio. EUR überschreiten. Diesen Fehler hatte bereits das OLG Dresden gemacht. Das OLG Köln zitiert zwar diese Entscheidung und auch die Anmerkung. Gelesen oder verstanden hat es sie aber offenbar nicht.
Bei dem, was das OLG hier anstellt, handelt es sich um eine "Milchmädchenrechnung". Das belegt folgende Kontrollrechnung:
Nach Auffassung des OLG Köln ist aus einem Wert von 30 Mio. + 30 Mio. = 60 Mio. EUR abzurechnen. Bei zwei Auftraggebern ergibt sich insoweit eine 1,6-Verfahrensgebühr (Nrn. 3100, 1008 VV) in Höhe von
290.393,60 EUR.
Auch das OLG Köln kommt aber nicht an § 7 Abs. 2 RVG vorbei. Danach haftet jeder Auftraggeber gegenüber dem Anwalt nur insoweit, wie er haften würde, wenn er den Auftrag alleine erteilt hätte. Jede Partei haftet danach nur auf eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 30 Mio. EUR, also auf
118.944,80 EUR.
Zusammen ergibt dies einen Betrag in Höhe von
237.889,6...