RVG VV Vorbem. 4 Abs. 4, Nrn. 4201, 4203; StGB § 673 Abs. 1
Leitsatz
Im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB fällt ein gebührenrechtlicher Haftzuschlag nicht an, wenn ein im psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachter im gesamten Verfahrensabschnitt in einer betreuten Wohneinrichtung, in der seine Bewegungsfreiheit keinen Einschränkungen unterliegt, wohnt.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.7.2010–5 Ws 120/10
Sachverhalt
Das LG Ulm hat den Verurteilten durch Urteil gem. § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Für das jährliche Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB hat die zuständige Strafvollstreckungskammer des LG dem Verurteilten durch Verfügung vom 28.11.2007 die Beschwerdeführerin als Pflichtverteidigerin beigeordnet. In den Folgejahren wurde die Verteidigerin nicht jeweils erneut bestellt. Sie unterstützte den Verurteilten aber gleichwohl in den jährlichen Anhörungsterminen und stand ihm auch unter dem Jahr bei Bedarf als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Ihre jährlichen Abrechnungen wurden vom LG akzeptiert und führten zu Kostenfestsetzungen. Der Verurteilte wurde im Rahmen seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft zunächst eine Woche lang im August 2009 und ab dem 1.10.2009 dauerhaft in einer sozialpsychiatrischen Wohneinrichtung außerhalb des Maßregelvollzugs erprobt. Die zuständige Sozialarbeiterin hat mitgeteilt, dass er dort von Anfang an in seiner räumlichen Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt war. Nach der Hausordnung musste er sich lediglich beim Verlassen des Hauses abmelden und sich bei seiner Rückkehr wieder zurückmelden. Dafür liegt im Haus eine Liste aus. Die Unterbringungsmaßregel gegen den Verurteilten ist seit Mai 2010 mit der Auflage, dass er in der Einrichtung wohnen bleiben muss, zur Bewährung ausgesetzt.
Die Verteidigerin hat am 29.1.2010 die Festsetzung ihrer Vergütung für die Verteidigung des Verurteilten ab ihrem letzten Kostenfestsetzungsantrag vom 22.1.2009 sowie für ihre Teilnahme am Anhörungstermin am 29.1.2010 in Höhe eines Betrags von 553,35 EUR beantragt. Sie hat dabei eine Verfahrensgebühr sowie die Terminsgebühr jeweils mit dem sog. Haftzuschlag (Nrn. 4201 und 4203 VV) geltend gemacht. Die Rechtspflegerin beim LG hat die Haftzuschläge abgelehnt und die Vergütung wie folgt festgesetzt:
Verfahrensgebühr, Nr. 4200 VV |
244,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 4202 VV |
120,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer auf die Vergütung, Nr. 7008 VV |
72,96 EUR |
Summe |
456,96 EUR |
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die Erinnerung der Pflichtverteidigerin als unbegründet verworfen. In seiner Entscheidung hat das LG die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache trotz des Werts des Beschwerdegegenstands von lediglich 96,00 EUR zugelassen.
Die Beschwerde hatte einen Teilerfolg, der zur Neufestsetzung der Gebühren durch den Senat geführt hat.
Aus den Gründen
Das Rechtsmittel ist unbegründet, soweit die Beschwerdeführerin einen Haftzuschlag für die Terminsgebühr (Nr. 4202 VV) geltend macht.
Nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV entsteht die Gebühr mit Zuschlag dann, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet. In vorliegender Sache befand sich der Verurteilte indes zum Zeitpunkt seiner Anhörung am 29.1.2010 auf freiem Fuß. Zwar wurde gegen ihn formal immer noch die angeordnete Unterbringungsmaßregel vollstreckt. Tatsächlich befand er sich aber nicht mehr im für die Vollstreckung zuständigen psychiatrischen Krankenhaus, sondern seit dem 1.10.2009 zum Zwecke seiner Erprobung und seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft in einer sozialpsychiatrisch betreuten Wohneinrichtung außerhalb des Maßregelvollzugs. Die mit dem Haftzuschlag abgegoltenen besonderen Erschwernisse der Tätigkeit des Verteidigers, der den Mandanten insbesondere im Vollzug aufsuchen muss, bestanden hier nicht. Vielmehr unterlag der Verurteilte keinen erheblichen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit. Die Gewährung des Haftzuschlags ist deshalb nicht gerechtfertigt (so auch KG NStZ-RR 2009, 31). Zwar liegt darin eine Ungleichbehandlung mit dem Verteidiger, der einem Verurteilten beigeordnet ist, der Strafhaft im offenen Vollzug verbüßt, und dafür mit dem Haftzuschlag honoriert wird (KG StraFo 2007, 483; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., Vorbem. 4 VV, Rn 46 m. w. Nachw.). Diese findet ihre Rechtfertigung aber darin, dass dort die Erschwernisse der Tätigkeit des Verteidigers vom Ausmaß der gewährten Lockerungen abhängen, deren Bewertung im Kostenfestsetzungsverfahren unpraktikabel erscheint.
Jedoch steht der Beschwerdeführerin ein Haftzuschlag für die Verfahrensgebühr (Nr. 4201 VV) zu. Zwar befand sich der Verurteilte nur zeitweise, nämlich bis zum 30.9.2009, im psychiatrischen Krankenhaus und damit nicht auf freiem Fuß, aber für die Gewährung des Haftzuschlags genügt es, wenn der Mandant des Verteidigers im abgerechneten Verfahrensabschnitt irgendwann einmal nicht auf freiem Fuß war (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., Vorbem. 4 VV Rn 43; OLG Celle StraFo 2008, 443 [= AGS 2008,...