RVG § 13 Abs. 2; RVG VV Vorbem. 3.2.1 Nr. 1; Nrn. 3200, 1008
Leitsatz
- Die Verfahrensbevollmächtigte erhält im finanzgerichtlichen Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung eine 1,6-Verfahrensgebühr.
- Die Erhöhung nach Nr. 1008 VV um 0,3 für jede weitere Person ist keine eigenständige Gebühr.
- Für die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV gilt nicht die Regelung in § 13 Abs. 2 RVG für den Mindestbetrag einer Gebühr.
Niedersächsisches FG, Beschl. v. 18.1.2010–7 KO 10/09
Sachverhalt
Die Beteiligten haben im Hauptsacheverfahren darum gestritten, ob im Wege der Aussetzung der Vollziehung ein Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen war. Die Erstattung von Gebühren des Vorverfahrens (§ 139 Abs. 3 FGO) haben die Erinnerungsführer im vorliegenden Verfahren nicht beantragt. Im Hinblick auf den im Parallelverfahren (zunächst) gestellten Antrag weist das Gericht darauf hin, dass nach der Rspr. des BFH im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung Gebühren des Vorverfahrens nicht erstattungsfähig sind.
Das Vorverfahren, auf das sich § 139 Abs. 3 S. 3 FGO bezieht, ist dasjenige des § 44 FGO, d.h. des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens, das als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage i.S.d. § 40 FGO einem solchen Klageverfahren vorausgegangen ist. Das Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO bzw. ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an die Finanzbehörde gem. § 69 Abs. 2 FGO sind zwar in der Regel (nach § 69 Abs. 4 S. 1 FGO) Voraussetzung für die Zulässigkeit eines bei Gericht gestellten Antrages auf Aussetzung der Vollziehung, jedoch keine Vorverfahren i.S.d. § 139 Abs. 3 S. 3 FGO (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 6. Aufl. 2006, Rn 111 zu § 139 FGO mit Rechtsprechungsnachweisen, BFH, Beschl. v. 1.8.1986 – V B 79/84, BFH/NV 1988, S. 335 ff., FG des Saarlandes, Beschl. v. 23.5.1990–103/80, EFG 1990, S. 589).
Der Urkundsbeamte hat in dem Beschluss über die Festsetzung der zu erstattenden Kosten die Verfahrensgebühr nach § 13 RVG und Nr. 3100 VV mit einem Satz von 1,3 (zuzüglich einer Erhöhung für eine weitere Person um 0,3) angesetzt. Hierzu hat er auf den Beschluss des Niedersächsischen FG v. 27.4.2005 (6 KO 3/05, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2005, 1803) verwiesen.
Aus den Gründen
Dieser Ansatz der Verfahrensgebühr ist zu korrigieren. Die Verfahrensgebühr ist auch im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vor dem FG nach Nr. 3200 VV (Abschnitt 2 des dritten Teils der VV) mit dem Satz von 1,6 anzusetzen und nicht nach Nr. 3100 VV (Abschnitt 1 des dritten Teils der VV) mit dem Satz von 1,3.
Nach der Vorbem. 3.1 Abs. 1 VV entstehen die Gebühren dieses Abschnitts "in allen Verfahren, für die in den folgenden Abschnitten dieses Teils keine Gebühren bestimmt sind." Nach Nr. 3100 VV (zu Abschnitt 1) ist die Verfahrensgebühr, soweit in Nr. 3102 nichts anderes bestimmt ist (betrifft Verfahren vor den Sozialgerichten), mit 1,3 anzusetzen.
Der folgende Abschnitt 2 des dritten Teils des VV bestimmt die Gebühren für "Berufung, Revision, bestimmte Beschwerden und Verfahren vor dem Finanzgericht" und bestimmt damit Gebühren für das finanzgerichtliche Verfahren abweichend von Abschnitt 1. Die Bestimmungen des 1. Abschnitts gelten deshalb nicht (unmittelbar) für Verfahren vor dem Finanzgericht. Nach Nr. 3200 VV (zu Abschnitt 2, Unterabschnitt 1) ist die Verfahrensgebühr, soweit in Nr. 3204 VV nichts anderes bestimmt ist (betrifft Verfahren vor den Landessozialgerichten), mit 1,6 anzusetzen.
Das Niedersächsische FG hat sich in seiner Entscheidung vom 27.4.2005 (6 KO 3/05 a.a.O.) auf die Regelung in der Vorbem. 3.2, Abs. 2 VV bezogen; nach dieser Vorbem. seien in Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz, in denen das Berufungsgericht das Gericht der Hauptsache ist, die Gebühren nach den Gebühren des Abschnitts 3.1 zu berechnen. Vorbem. 3.2.1 Abs. 1 Nr. 2 VV vollziehe lediglich den Schritt der gebührenrechtlichen Gleichstellung der Finanzgerichte mit den übrigen Obergerichten. Nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung sei jedoch nicht beabsichtigt, auch das Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz im Verfahren vor dem Finanzgericht höher zu vergüten als bei anderen Gerichten höherer Instanz. Entsprechend berechne sich daher die Gebühr für das Aussetzungsverfahren vor dem FG gem. Vorbem. 3.2 Abs. 2 VV nach den Gebühren des Abschnitts 3.1 VV.
Dieser Auffassung folgt das erkennende Gericht nicht. Für die entsprechende Anwendung des Abschnitts 3.1 des VV auf die Verfahrensgebühr im Aussetzungsverfahren fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Es liegt auch keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des Abschnitts 3.1 des VV gebieten würde.
Der Vorbem. 3.2 Abs. 2 VV geht deren Abs. 1 voraus. Dieser bestimmt, dass Abschnitt 2 des dritten Teils des VV "auch in Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht über die Zulassung des Rechtsmittels anzuwenden" ist. Der nachfolgende Abs. 2 lautet: "Wenn im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung das Berufungsger...