Die Entscheidung des OLG ist nicht nur zutreffend, sondern auch hilfreich für die Praxis, weil sie als Wegweiser dafür herangezogen werden kann, wie die Vermögensverhältnisse der beteiligten Ehegatten bei der Wertfestsetzung in Ehesachen zutreffend berücksichtigt werden können.

Die Vermögensverhältnisse werden auch dann, wenn es sich nicht um eine einverständliche Scheidung handelt, von den Gerichten regelmäßig nicht beachtet, mutmaßlich offenbar, weil ihre Berücksichtigung kompliziert und aufwändig erscheint und seit 36 Jahren die Annahme gerechtfertigt wäre, die Vorschrift zur Festsetzung des Verfahrenswerts in Ehesachen laute allein wie folgt: "In Ehesachen richtet sich der Verfahrenswert nach dem dreifachen Nettoeinkommen der Beteiligten." Denn das ist die Wertfestsetzung, wie sie von den Gerichten in Ehesachen vorgenommen wird.

Eine angemessene und dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG gerecht werdende Wertfestsetzung in Ehesachen kann sich aber nur dann ergeben, wenn die Vorschrift auf die jeweilige Ehesache inhaltlich in vollem Umfang – so wie es der Gesetzgeber auch gewollt hat – angewendet wird. Dann aber ist der Verfahrenswert "unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen".

Weil die einverständliche Scheidung der statistische Regelfall ist und die jeweilige Wertvorschrift diese Konstellation als Durchschnittsfall erfasst, haben alle in der Wertvorschrift genannten Kriterien grundsätzlich in die Bewertung einzufließen. Abschläge können nach Ermessen bei den Kriterien "Umfang der Sache" oder "Bedeutung der Sache" vorgenommen werden.

Das OLG setzt Vermögensfreibeträge in Höhe von 60.000,00 EUR nur für die beteiligten Ehegatten, nicht für die volljährigen Kinder an, weil das Vermögen für die Unterhaltszahlungen nicht eingesetzt wird. Von der sich ergebenden Differenz berücksichtigt es 5 %. Die von der Rspr. aufgestellten Grundsätze zu den Vermögensfreibeträgen sind hilfreich als Orientierungsgrundlage für die Berücksichtigung des Vermögens der Eheleute, sollten aber nicht statisch, sondern stets auf den Einzelfall bezogen angewendet werden. Das hat das OLG anschaulich herausgearbeitet. Auch andere Gerichte orientieren sich bei der Einbeziehung der Vermögensverhältnisse an nach Ermessen bestimmten Freibeträgen:

 
KG[1] je Ehegatte 30.000,00 EUR; 10 % v. Restbetrag, davon 20 % Abschlag
OLG Bamberg[2] 70.000,00 DM je Ehegatte
OLG Brandenburg[3] 30.000,00 EUR je Ehegatte, 20.000,00 EUR je Kind; 5 % v. Restbetrag
OLG Dresden[4] 30.000,00 EUR je Ehegatte, 10.000,00 EUR je Kind; 5 % v. Restbetrag
OLG Düsseldorf[5] 70.000,00 DM je Ehegatte und 70.000,00 DM je minderjähriges Kind; 10 % vom Restbetrag bei hohem Privatvermögen
OLG Karlsruhe[6] 30.000,00 DM je Ehegatte und 15.000,00 DM je Kind; 5 % vom Restbetrag
OLG Koblenz[7] 60.000,00 EUR je Ehegatte; 5 % vom Restbetrag
OLG Köln[8] 70.000,00 DM je Ehegatte und 70.000,00 DM je minderjähriges Kind; 5 % vom Restbetrag
OLG München[9] 120.000,00 DM je Ehegatte, 60.000,00 DM je minderjähriges Kind; 5 % vom Restbetrag
OLG Saarbrücken[10] kein Vermögensfreibetrag
OLG Stuttgart[11] 30.000,00 EUR je Ehegatte; 5 % vom Restbetrag
OLG Zweibrücken[12] 20.000,00 EUR je Ehegatte, 10.000,00 EUR je Kind, 5 % vom Restbetrag

FAFamR Lotte Thiel, Koblenz

[1] FamRZ 2010, 829.
[2] JurBüro 1987, 1694.
[3] FamRZ 2011, 755.
[4] FamRZ 2006, 1053.
[5] FamRZ 1994, 249 = AGS 1994, 34.
[6] FamRZ 1999, 1288.
[7] AGS 2003, 409.
[8] FamRZ 1997, 37.
[9] OLGR 1998, 169.
[10] JurBüro 1982, 421.
[11] S. o. S. 451 = FamRZ 2010, 1940.
[12] FamRZ 2008, 2052.

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