RVG VV Nrn. 4100, 4102, 4108, 4141 RVG § 14 StPO §§ 243 Abs. 1, 464b
Leitsatz
- Eine zusätzliche Verfahrensgebühr entsteht in entsprechender Anwendung von Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zurücknimmt und das Verfahren dadurch als endgültig eingestellt anzusehen ist.
- Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete anwaltliche Tätigkeit i.S.v. Anm. Abs. 2 zu Nr. 4141 VV. Eine Ursächlichkeit der Mitwirkung für die Einstellung ist nicht erforderlich.
- Die Teilnahme an einem Termin des Sachverständigen zur Besichtigung und Gegenüberstellung eines Kraftfahrzeugs löst keine allgemeine Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV aus.
- Reisekosten für die Teilnahme des Verteidigers an einem Sachverständigentermin sind grundsätzlich nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig.
- Ist ein Hauptverhandlungstermin nicht anberaumt worden, fällt keine Terminsgebühr Nr. 4108 VV durch die Vorbereitung eines Hauptverhandlungstermins an. Die Hauptverhandlung beginnt nach § 243 Abs. 1 StPO erst mit dem Aufruf der Sache und nicht mit der gerichtlichen Sachaufklärung.
- Im Kostenfestsetzungsverfahren gem. § 464b StPO ist ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer (§ 14 Abs. 2 RVG) nicht einzuholen.
LG Düsseldorf, Beschl. v. 2.11.2009 – 10 Qs 69/09
1 Sachverhalt
Das AG hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort erlassen. Hiergegen hatte der Angeklagte Einspruch eingelegt. Daraufhin hat das AG auf Antrag des Verteidigers die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Behauptung des Angeklagten eingeholt, die Beschädigungen am Fahrzeug der Geschädigten seien nicht durch sein Fahrzeug verursacht worden. An dem Besichtigungstermin der beiden Fahrzeuge durch den Sachverständigen hatte der Verteidiger teilgenommen. Nach Eingang des Gutachtens hat die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Erlass des Strafbefehls zurückgenommen. Das Gericht hat daraufhin gem. § 467a StPO die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Sodann hat der Angeklagte die Festsetzung nachfolgender Gebühren und Auslagen beantragt:
a) |
Grundgebühr für Verteidiger, Nr. 4100 VV |
165,00 EUR |
b) |
Ortstermin Sachverständiger, Nr. 4102 Nr. 1 VV |
140,00 EUR |
c) |
Verfahrensgebühr für ersten Rechtszug vor dem AG, Nr. 4106 VV |
200,00 EUR |
d) |
Terminsgebühr für Hauptverhandlung vor dem AG, Nr. 4108 VV |
230,00 EUR |
e) |
Zusätzliche Gebühr, Nr. 4141 VV |
140,00 EUR |
f) |
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7004 VV |
20,00 EUR |
g) |
Fahrkosten, Nr. 7003 VV |
11,70 EUR |
h) |
Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
i) |
Kosten für Aktenübersendung |
12,00 EUR |
|
19 % MWSt Nr. 7008 VV |
178,35 EUR |
|
Gesamt |
1.117,05 EUR |
Das AG hat die dem Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf insgesamt 416,60 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Hierbei wurde die Grundgebühr Nr. 4100 VV auf 120,00 EUR herabgesetzt, die Gebühren Nrn. 4102, Nr. 4108, 4141 VV und die Auslagen Nrn. 7004 u. 7003 VV wurden insgesamt in Abzug gebracht.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hat insoweit Erfolg, als eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV zu erstatten ist.
2 Aus den Gründen
Nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV entsteht diese zusätzliche Gebühr, wenn durch eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete anwaltliche Tätigkeit eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies gilt auch in entsprechender Anwendung für den Fall der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls durch die Staatsanwaltschaft, verbunden mit der endgültigen Einstellung des Verfahrens (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 18. Aufl., VV 4141, Rn 19).
Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist auch eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete anwaltliche Tätigkeit.
Eine Ursächlichkeit der Mitwirkung für die Einstellung ist nicht erforderlich. Vielmehr genügt jede auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit. Es ist daher entgegen der Auffassung des Bezirksrevisors nicht darauf abzustellen, dass das Ziel des Angeklagten möglicherweise ein Freispruch – nach Hauptverhandlung – war.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein Angeklagter sich gegen den in einem Strafbefehl gegen ihn erhobenen Vorwurf nur mit dem Einspruch nach § 410 StPO wehren kann, der grundsätzlich die Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins erfordert, § 411 Abs. 1 S. 2 StPO. Das Ergebnis des Sachverständigengutachtens hat jedoch die Hauptverhandlung entbehrlich gemacht.
Die Gebühr ist nach Anm. Abs. 3 Nr. 4141 i.V.m. Nr. 4106 VV antragsgemäß auf 140,00 EUR festzusetzen.
Im Übrigen gilt Folgendes:
Die geltend gemachte Grundgebühr nach Nr. 4100 VV ist unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG aufgestellten Kriterien nicht gerechtfertigt.
Die Kammer folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Bezirksrevisors im Rahmen seiner dem Angeklagten bekannten Stellungnahmen, wonach der Arbeitsaufwand für den Verteidiger unter Berücksichtigung des geringe...