1. Allgemeines
Das RVG sieht an vielen Stellen eine Anrechnung bestimmter Gebühren vor, um Tätigkeiten, welche bereits ein einem vorgelagerten Verfahrensabschnitt entfaltet und vergütet worden sind, nicht erneut zu honorieren. Durch die Vorbefassung sei die anwaltliche Tätigkeit in der nachfolgenden Angelegenheit verringert und weniger arbeitsintensiv.
Es findet also zur Vermeidung einer Doppelabgeltung bestimmter Tätigkeiten eine Begrenzung des Gesamtgebührenaufkommens statt.
So auch in sozialrechtlichen Angelegenheiten bei Betragsrahmengebühren nach §§ 3 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 RVG in den Vorbemerkungen 2.3 Abs. 4 und 3 Abs. 4 VV.
Zur Ergebnisvermeidung einer regelwidrigen und verbotenen Doppelberücksichtigung der Anrechnung normiert nun § 14 Abs. 2 RVG, dass die Gebühr im nachfolgenden Verfahrensabschnitt, auf die angerechnet wird, so zu bestimmten ist, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. Die Vorbefassung soll alleine durch die vorgeschriebene Anrechnung berücksichtigt werden.
Durch die Aufnahme dieser Regelung aus den Vorbemerkungen in den Paragraphenteil des RVG soll klargestellt werden, dass dies für jedes Bemessungskriterium gilt und darüber hinaus eine Angleichung an die Regelungen für Wertgebühren erfolgt.
Allgemein anerkannt ist das Wahlrecht des Rechtsanwalts (auch sog. Entscheidungsvorrecht) dahingehend, welche Gebühr er in voller Höhe und welche Gebühr er in verminderter Höhe unter Berücksichtigung der Anrechnung von seinem Auftraggeber, dem zur Erstattung verpflichteten Dritten oder der Landeskasse, einfordert.
Anzurechnen sind nur gesetzliche Gebühren, eine vereinbarte Vergütung nach § 3a RVG ist bei fehlender Vereinbarung über eine Anrechnung nicht anzurechnen.
Weiterhin hat keine Anrechnung zu erfolgen, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist, vgl. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG.
2. Anrechnung im Verwaltungsverfahren
Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr Nr. 2302 VV im Verwaltungsverfahren (Antragsverfahren) entsteht, ist diese entsprechend Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV zur Hälfte auf die weitere Geschäftsgebühr im nachfolgenden Verwaltungsverfahren (Widerspruchs-/Vorverfahren) anzurechnen. Die Anrechnung ist in der nachfolgenden Angelegenheit durchzuführen.
Beispiel
Der Rechtsanwalt vertrat seine Mandantin im Antragsverfahren vor der Verwaltungsbehörde und sodann im nachfolgenden Widerspruchsverfahren nach Ablehnung der beantragten Leistung.
Ausgehend von der Schwellengebühr hat die Anrechnung grds. wie folgt zu erfolgen:
I. Verwaltungsverfahren I (Antragsverfahren) |
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Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV |
359,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
72,01 EUR |
Gesamt |
451,01 EUR |
II. Verwaltungsverfahren II (Widerspruchs-/Vorverfahren) |
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Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV |
359,00 EUR |
Anrechnung gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV |
– 179,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
37,91 EUR |
Gesamt |
237,41 EUR |
3. Anrechnung im gerichtlichen Verfahren
Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr Nr. 2302 VV im Verwaltungsverfahren (Widerspruchs-/Vorverfahren) entsteht, ist diese entsprechend Vorbem. 3 Abs. 4 VV zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen.
Beispiel
Der Rechtsanwalt vertrat seinen Mandanten im Widerspruchsverfahren vor der Verwaltungsbehörde und anschließend im streitigen Verfahren nach Erlass des Widerspruchsbescheides.
Ausgehend von der Schwellen- bzw. Mittelgebühr hat die Anrechnung grds. wie folgt zu erfolgen:
I. Verwaltungsverfahren (Widerspruchs-/Vorverfahren) |
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Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV |
359,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
72,01 EUR |
Gesamt |
451,01 EUR |
II. Streitiges Verfahren |
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Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
360,00 EUR |
Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV |
– 179,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
38,10 EUR |
Gesamt |
238,60 EUR |
4. Zusammentreffen mehrerer Geschäftsgebühren
Sind mehrere Gebühren entstanden, ist für die Anrechnung die zuletzt entstandene Gebühr maßgebend (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV). Sofern also eine Tätigkeit im Antragsverfahren vorausgegangen ist, für welche eine weitere Geschäftsgebühr verdient wurde, ist diese erst entstandene Geschäftsgebühr aus dem Antragsverfahren für die Anrechnung im streitigen Verfahren unbeachtlich.
5. Chronologie der Anrechnung
Der gesetzlichen Terminologie nach hat die Anrechnung im nachfolgenden Verfahrensabschnitt zu erfolgen: "auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens".
Aus dem Wahlrecht des Rechtsanwalts folgt aber auch, dass die Anrechnung nicht zwingend in der letzten Angelegenheit, respektive im Klageverfahren erfolgen muss. Absolut zweckmäßig und der Übersicht dienend dürfte es jedoch sein, die Anrechnung der Vorverfahrensgebühr im streitigen Verfahren vorzunehmen. Die erst entstandene Tätigkeitsgebühr ist demnach in voller Höhe abzurechnen und sodann auf die nachfolge...