Nach Ausführung zu den gesetzlichen Grundlagen der Anrechnung soll nun auf die diesbezügliche Rspr., welche in der Vergangenheit recht uneinheitlich war, eingegangen werden.
Bereits die unterschiedlichen Senatsauffassungen zur Anrechnung zeigen, wie notwendig eine einheitliche Rechtsanwendung geboten scheint. Es herrscht zu oft noch Streit darüber, ob eine Anrechnung über die tatsächlich entstandene oder anteilige erstattete bzw. tatsächlich erhaltenen Geschäftsgebühr erfolgen soll.
1. Anrechnung über entstandene Geschäftsgebühr
Selbst einige Senate mancher Obergerichte stellten oder stellen bislang teils noch immer unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Vorbem. 3 Absatz 4 VV ("soweit eine Geschäftsgebühr entsteht") darauf ab, dass regelmäßig die entstandene bzw. die "fiktive" Geschäftsgebühr anzurechnen sei, unabhängig davon, ob eine geringere Kostenerstattung oder Zahlung erfolge, also eine Vereinnahmung der Gebühr durch den Anwalt gar nicht erfolge.
Dies solle neben Sinn und Zweck der Anrechnungsregelung auch unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs zu § 15a RVG folgerichtig sein.
Jedenfalls für das Kostenfestsetzungsverfahren solle es für die Anrechnung lediglich auf die entstandene Geschäftsgebühr und nicht auf die tatsächlich geleistete Gebühr ankommen.
2. Anrechnung über tatsächlich erhaltene Geschäftsgebühr
Bereits seit Längerem wird dieser Grundsatz aufgebrochen bzw. eine derartige Rspr. aufgegeben:
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV hat demnach nur i.H.d. Hälfte der tatsächlichen erstatteten und nicht entstandenen Geschäftsgebühr zu erfolgen. Auch die Befürworter dieser Rechtsauffassung halten der Gegenmeinung die Systematik und die Gesamtbetrachtung entgegen.
Entsprechend der gesetzgeberischen Intention wird damit dem Rechtsanwalt die Wahlfreiheit gelassen, welche Gebühr er in voller Höhe und welche Gebühr in durch Anrechnung verminderter Höhe verlangen will. Dieses Wahlrecht ist auch bei tatsächlich erfolgten Zahlungen erst dann beschränkt, wenn der Anrechnungshöchstbetrag von 207,00 EUR erreicht ist.
Diese Auffassung entspräche i.Ü. auch dem Grundgedanken der Prozesskostenhilfe (PKH) als besonderer Form der Sozialhilfe, auf welche grds. nur präsente, also tatsächlich verfügbare Mittel anzurechnen sind.
3. Quotale Anrechnung
Sofern durch den zur Erstattung verpflichteten Prozessgegner keine volle, sondern nur eine anteilige bzw. quotale Kostenübernahme bzw. -Erstattung erfolgt, hat entsprechend nur eine Anrechnung über die Hälfte der Quote zu erfolgen.
Beispiel
Der Rechtsanwalt ist für seinen Mandanten im Vor- und Klageverfahren tätig gewesen. Im gerichtlichen Termin wurde ein Vergleich geschlossen, nach welchem die außergerichtlichen Kosten des Vorverfahrens zu 1/2 Anteil und die des streitigen Verfahrens voll durch die Beklagte erstatten werden.
Es wird von der Schwellen- bzw. Mittelgebühr ausgegangen.
I. Vor-/Widerspruchsverfahren |
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Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV |
359,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
72,01 EUR |
Gesamt |
451,01 EUR |
Davon 1/2 Anteil Beklagte |
225,51 EUR |
II. Klageverfahren |
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Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
360,00 EUR |
Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV |
– 89,75 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
335,00 EUR |
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV |
360,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
187,20 EUR |
Gesamt |
1.172,45 EUR |
Die Hälfte der Geschäftsgebühr ist nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV i.V.m. § 15a Abs. 3 RVG anzurechnen. Da die Beklagte entsprechend des Vergleichs aber nur 1/2-Anteil der außergerichtlichen Kosten des Vorverfahrens erstattet, darf insoweit nur ein Betrag von 89,75 EUR angerechnet werden (1/2 von 179,50 EUR = 89,75 EUR), da insoweit tatsächlich nur eine Geschäftsgebühr i.H.v. 179,50 EUR und nicht 359,00 EUR erstattet wird.