Nach der Auffassung des Landgerichts Aachen (a.a.O.), welcher sich das LG angeschlossen hat, folge aus dem das Bußgeld- wie auch das Strafverfahren beherrschenden Grundsatz der Amtsermittlung, dass allein die Entlegenheit der Materie die Einholung eines Privatgutachtens grds. nicht erstattungsfähig mache. Anders als im Zivilprozess, in dem die Natur des Parteiprozesses ein (weiteres) Privatgutachten zur Herstellung von 'Waffengleichheit“ erforderlich machen könne, weil zum Beispiel dann, wenn die Gegenseite ihren Vortrag auf ein eigenes Privatgutachten stützen kann, der eigenen Substantiierungspflicht sonst nicht genügt werden könne, biete die Verpflichtung des Gerichts und nach dem Gesetz auch der Anklagebehörde zur umfassenden Sachaufklärung zunächst Gewähr für die umfassende Objektivität auch eines von Amts wegen beauftragten Gutachtens. Demzufolge könne die Einholung eines Privatgutachtens aus der maßgeblichen ex ante-Sicht nur dann notwendig sein, wenn objektivierbare Mängel vorliegen, die zur Einholung des Gutachtens drängen. Ex-ante notwendig und damit erstattungsfähig könne ein Privatgutachten sowohl zur Überprüfung eines Erstgutachtens wie auch sonst zur ergänzenden Aufklärung also nur sein, wenn die bisher geführten Ermittlungen unzureichend seien. Allerdings sei es dem Betroffenen auch dann zuzumuten, die Behebung solcher Ermittlungslücken durch das Gericht zu beantragen. Zweite Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten ex-ante sei es daher, dass dem Betroffenen andernfalls eine wesentliche Verschlechterung seiner Prozesslage drohe. Dies komme lediglich dann in Betracht, wenn die Ermittlungsbehörde bzw. das Gericht einem Beweisantrag nicht nachkomme und ein Zuwarten bis zur Hauptverhandlung nicht zumutbar sei. Im Bußgeldverfahren sei es insoweit dem Betroffenen stets zumutbar, auch ex-ante notwendig erscheinende Ermittlungen erst dann selbst zu veranlassen, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht diese abgelehnt habe. Wenn ein Privatgutachten in diesem Sinne ex-ante ausnahmsweise notwendig gewesen sei, komme es auf, die Relevanz für den späteren Freispruch ex-post auch nicht mehr an. Wenn dann aber zunächst auf eigenes Kostenrisiko veranlasste private Ermittlungen sich tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen auswirken, seien die Kosten hierfür stets zu erstatten (LG Aachen, a.a.O.). Hinzu komme vorliegend, dass das Gutachten der Frage diente, ob es sich bei der auf dem Lichtbild abgelichteten Person um die Betroffene gehandelt habe. Hierbei habe es sich zum einen nicht um einen technisch anspruchsvollen und schwierigen, technischen Sachverhalt gehandelt, welcher u.U. auch durch Inaugenscheinnahme durch das Amtsgericht selbst entschieden werden könne.

Unter Anwendung der zuvor ausgeführten Grundsätze hat das LG die verauslagten Sachverständigenkosten als nicht erstattungsfähig angesehen. Auch die Berücksichtigung der von der Verteidigung zitierten Entscheidungen führe zu keiner abweichenden Bewertung. In dem der Entscheidung des LG Bielefeld (Beschl. v. 19.12.2019 – 10 Qs 425/19, RVGreport 2020, 182) zugrunde liegenden Sachverhalt habe es sich um ein Gutachten zu einer schwierigen technischen Fragestellung gehandelt, sodass das Gericht die Einholung eines Privatgutachtens als notwendige Vorbereitung für die Prozessführung und Darlegung durch den Verteidiger angesehen habe. In dem zitierten Beschluss des LG Dresden (Beschl. v. 7.10.2009 – 5 Qs 50/07, NStZ-RR 201, 61) sei ein amtswegig eingeholtes Gutachten mit objektivierbaren Mängeln behaftet gewesen, sodass es der Überprüfung durch ein Privatgutachten bedurft habe. Diese Konstellationen sind vorliegend nicht gegeben.

Es sei dem Verteidiger insbesondere auch aufgrund des im Bußgeldverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes zuzumuten gewesen, bei Zweifeln an der Fahrereigenschaft der Betroffenen die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu beantragen. Erst wenn das AG diesem Antrag nicht entsprochen hätte oder wenn es zur Widerlegung des gerichtlich eingeholten Gutachtens erforderlich erschien, hätte es aus ex-ante Sicht der Einholung eines Privatgutachtens bedurft, welches auch zur Akte hätte gereicht werden müssen.

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