§ 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG; § 91 ZPO
Leitsatz
- Der Ausschluss der Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten gilt nach dem Wortlaut des § 12a ArbGG für die obsiegende "Partei".
- Die Erstattungsbeschränkung gilt darüber hinaus nach allgemeiner Auffassung nicht nur für die Parteien des Rechtsstreits, sondern auch für Streithelfer, sofern ihnen eigene Vertretungskosten entstanden sind.
- Diese Einbeziehung der Streithelfer entgegen des Wortlautes des § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG im Wege der erweiternden Auslegung ist aufgrund der sozialpolitischen Zwecksetzung der Vorschrift gerechtfertigt.
LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7.6.2021 – 26 Ta (Kost) 6023/21
I. Sachverhalt
Die Parteien hatten in dem vor dem ArbG Berlin begonnenen Rechtsstreit durch zwei Instanzen über Vergütungsfragen gestritten. Die Beklagte hatte dem Streithelfer den Streit verkündet, der dem Rechtsstreit beigetreten ist. Im Berufungsverfahren hat das LAG Berlin-Brandenburg dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz sowie die der Nebenintervention erster und zweiter Instanz auferlegt. Hieraufhin hat der Streithelfer die Festsetzung seiner Anwaltskosten für beide Instanzen beantragt. Der Rechtspfleger des ArbG Berlin hat die von dem Kläger an den Streithelfer zu erstattenden zweitinstanzlichen Kosten festgesetzt und die Festsetzung für die erste Instanz abgelehnt. Die gegen die Absetzung dieser Kosten gerichtete sofortige Beschwerde hatte beim LAG keinen Erfolg.
II. Kostenerstattung in erstinstanzlichen Arbeitsgerichtsverfahren
1. Gesetzliche Regelung
Gem. § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG ist im erstinstanzlichen Urteilsverfahren die Kostenerstattung ausgeschlossen wegen
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der Entschädigung der Partei wegen Zeitversäumnis sowie |
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der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes. |
Diese Vorschrift weicht für das erstinstanzliche Urteilsverfahren von der über § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG geltenden Grundregel des § 91 Abs. 1 ZPO ab, nach der notwendige Kosten der Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung erstattungsfähig sind, zu denen gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO die Kosten eines Rechtsanwalts gehören.
Der Ausschluss der Kostenerstattung für Anwaltskosten ist mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG NJW 1971, 2302; LAG Stuttgart AnwBl. 1986, 106). § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG soll den arbeitsgerichtlichen Prozess im ersten Rechtszug verbilligen und das Kostenrisiko der erstattungspflichtigen Partei begrenzen (BAG AGS 2015, 483 = RVGreport 2015, 426 [Hansens]). Dies gilt allerdings nicht nur zugunsten des Arbeitnehmers, sondern auch zu dessen Lasten, wenn er im ersten Rechtszug obsiegt (s. BAG DB 1973, 1077).
Der Ausschluss der Kostenerstattung nach § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG betrifft die Kosten, die durch die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes entstanden sind. Folglich kommt es auf die Person des Prozessbevollmächtigten nicht an. Auch die Kosten für die Hinzuziehung eines Terminsvertreters oder eines Verkehrsanwalts sind regelmäßig nicht erstattungsfähig. Gleiches gilt, wenn ein Rechtsanwalt als gesetzlicher Vertreter einer Partei oder als Partei kraft Amtes auftritt oder er sich in eigener Sache selbst vertritt (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl., § 12a ArbGG Rn 13).
Der Erstattungsausschluss in § 12a Abs. 1 ArbGG betrifft auch vorprozessuale Anwaltskosten (BAG AP Nr. 14 zu § 61 ArbGG 1953; LAG Hamm MDR 1992, 63). Der Ausschluss der Kostenerstattung erfasst sowohl die nach dem RVG berechneten Gebühren als auch die nach diesem Gesetz angefallenen Auslagen des Prozessbevollmächtigten oder Beistandes.
2. Anspruch der obsiegenden Partei
Der Wortlaut des § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG schließt lediglich den Anspruch der obsiegenden Partei“ auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten aus. Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg gilt dieser Ausschluss über den gesetzlichen Wortlaut hinaus nicht nur für die Parteien des Rechtsstreits, sondern auch für Streithelfer, soweit ihnen eigene Vertretungskosten entstanden sind (so LAG Stuttgart AP Nr. 12 zu § 12a ArbGG GK-ArbGG/Schleusener, Stand: November/2017, Rn 37; Düwell/Lipke/Dreher, 5. Aufl., 2019, § 12a ArbGG, Rn 4; NK-GA/Müller, § 12a ArbGG, Rn 29; G/M/P/Künzel, 9. Aufl., 2017, § 12a ArbGG, Rn 14; H/W/K/Kalb, 9. Aufl., 2020, § 12a ArbGG, Rn 4; Schwab/Weth, 5. Aufl., 2018, § 12a ArbGG, Rn 18; M/E/L/Mues, Handbuch Kündigungsrecht, 2. Aufl., 2010, Teil 12 Kündigungsschutzprozess, Rn 624; Fleddermann, in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 12. Aufl., 2021, J. Streitwert und Kosten, Rn 138; M/S/D/Busch, KSchR, 2. Aufl., 2021, § 12a ArbGG, Rn 2).
Diese erweiternde Auslegung hält das LAG Berlin-Brandenburg aufgrund der sozialpolitischen Zwecksetzung der Regelung des § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG für gerechtfertigt. Dieser Auslegung steht nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg auch nicht entgegen, dass das LAG in der Berufungsinstanz dem Kläger die Kosten des Nebenintervenienten erster Instanz auferlegt hat. § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG schließe die Erstattungspflicht für die erste Instanz...