Dem Angeklagten stehe – so der BGH – keine PKH zu. Denn ihm sei bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstrecke sich auf das Adhäsionsverfahren.
1. Streitstand
Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung PKH für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet werde, sei umstritten. Während einerseits angenommen werde, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock, Beschl. v. 15.6.2011 – I Ws 166/11; OLG Köln, Beschl. v. 29.6.2005 – 2 Ws 254/05; OLG Hamm StraFo 2001, 361 = AGS 2002, 110; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143 Rn 1; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn 4; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 404 Rn 21; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV Rn 21; HK-RVG/Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 4141 Rn 22; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl., VV 4143, 4144 Rn 5, jeweils m.w.N.), werde andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. KG, Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ws 22/09; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114; OLG Dresden, Beschl. v. 27.3.2013 – 3 Ws 2/13; MüKo StPO/Grau, 2019, § 404 Rn 8; KMR/von Heintschel-Heinegg/Bockemühl, StPO, Stand 2020, § 404 Rn 29; SSW-StPO/Schöch, 4. Aufl., § 404 Rn 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141–4147 Rn 41, jeweils m.w.N.). Der BGH habe die Frage – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2013 – 2 StR 351/13). Der BGH vertritt nun die Auffassung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst.
2. Pflichtbestellung umfasst das Adhäsionsverfahren
Sei die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 StPO, so erstrecke sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, a.a.O.). Dies ergebe sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen – in der Regel untrennbaren – Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3.2001 – 3 StR 25/01, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Die sich aus der strafprozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz sei gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Auch der Gesetzgeber sei mit der Regelung der Nr. 4143 VV davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem "Pflichtverteidiger" zusteht (vgl. BT-Drucks 15/1971, 228; s. außerdem Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4143 VV Rn 21).
Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers sei überdies der durch das "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019 (BGBl I, 2128) neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber habe die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über PKH für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren (ABl L 297 vom 4.11.2016, S. 1, "PKH-Richtlinie") unter Beibehaltung des Systems der notwendigen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drucks 19/13829, 2). Er habe eine Entscheidung gegen die "antragsbasierte PKH für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung" getroffen (vgl. BT-Drucks 19/13829, 4, 27), weil es "keine Vorteile mit sich bringen würde". Daraus wird deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von PKH und notwendiger Verteidigung geben soll.
Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO, die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebiete keine andere Wertung, denn sie bleibe zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen, von Bedeutung.