Nr. 4142 VV RVG
Leitsatz
- In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben.
- Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 (BGBl I, 872) kommt es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für Entstehung der Gebühr nach Nr. 4142 VV nicht mehr an, vielmehr kann die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen.
- Für den Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 VV genügt jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Die Gebühr wird daher bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst.
LG Aachen, Beschl. v. 1.4.2021 – 60 Qs 7/21
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den früheren Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Bandendiebstahls geführt. Der Rechtsanwalt war dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Mit der Anklageschrift wurde dem Angeklagten ein Einbruch in eine Tankstelle und die Entwendung von Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 EUR zur Last gelegt. In der Anklageschrift heißt es:
Zitat
"Verbrechen des schweren Bandendiebstahls, strafbar gemäß §§ 244a Abs. 1, 25 Abs. 2, 74 StGB. Die sichergestellten und als Augenscheinobjekte aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung".
Das AG hat den ehemaligen Angeklagten auf Kosten der Landeskasse freigesprochen.
Der Verteidiger hat die Festsetzung von Wahlverteidigergebühren beantragt, und zwar u.a. auch eine 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV nach einem Gegenstandswert von 7.200,00 EUR. Der Bezirksrevisor hat zu dem Antrag Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass es sich bei der Gebühr nach Nr. 4142 VV um eine – zusätzliche – Verfahrensgebühr handle, die das Betreiben des Geschäfts u.a. im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz abgelten solle. Eine entsprechende Tätigkeit sei dem Akteninhalt jedoch nicht zu entnehmen. Die Gebühr sei daher abzusetzen. Darauf hat der Verteidiger erwidert, dass sich die Tätigkeit, die er im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz entfaltet habe, nicht unmittelbar aus dem Akteninhalt ergebe. Jedoch sei die Einziehung in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft enthalten. Auch wenn dies in der Anklageschrift nicht ausdrücklich beantragt worden sei, liege die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB nahe. Hierüber habe er den ehemaligen Angeklagten pflichtgemäß belehrt und beraten.
Der Bezirksrevisor ist bei seiner Auffassung verblieben, ebenso der Verteidiger bei seiner Meinung. Das AG hat die Gebühr Nr. 4142 VV nicht festgesetzt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, diese Gebühr entstehe nur dann, wenn der Verteidiger eine Tätigkeit erbringe und nachweise, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet sei (unter Bezugnahme auf Burhoff, RVG, 2. Aufl., Nr. 4142 Rn 15). Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor und seien von dem Verteidiger auch nicht dargelegt.
Der Verteidiger hat sofortige Beschwerde eingelegt. Das AG hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem LG vorgelegt. Das LG hat darauf hingewiesen, dass es die sofortige Beschwerde für begründet erachtet. Das AG hat sodann den Gegenstandswert des Verfahrens gem. § 33 Abs. 1 RVG auf 7.200,00 EUR festgesetzt.
II. Keine Abhilfemöglichkeit
Das LG hat zunächst den Nichtabhilfebeschluss der Rechtspflegerin (deklaratorisch) aufgehoben (vgl. OLG Rostock AGS 2018, 330 = RVGreport 2018, 307 = StRR Sonderausgabe 12/2018, 9; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., 2019, § 464b Rn 4 m.w.N.). Aus § 464b S. 3 StPO i.V.m. § 572 Abs. 1 ZPO ergebe sich eine solche Abhilfemöglichkeit in strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren nicht. Nach dieser Bestimmung seien auf das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung die Vorschriften der Zivilprozessordnung (nur) entsprechend anzuwenden. Deshalb fänden auf das Verfahren (§§ 103 ff. ZPO) und die Vollstreckung (§§ 794 ff. ZPO) der Kostenfestsetzung die Vorschriften der ZPO lediglich insoweit Anwendung, als sie strafprozessualen Prinzipien nicht widersprächen. Demgemäß seien für das Beschwerdeverfahren die §§ 304 ff. StPO – also auch § 311 Abs. 3 StPO – und nicht die entsprechenden Vorschriften der ZPO anwendbar (zutreffend BGHSt 48, 106 = NJW 2003, 763; KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 464b Rn 4 m.w.N.).
III. Neuregelung der §§ 73 ff. StGB
Das LG hat das Entstehen der vom Verteidiger geltend gemachten zusätzlichen Gebühr Nr. 4142 VV bejaht. Das Urteil des AG sei am 27.10.2020 ergangen. Bezogen auf die in Rede stehende Frage, ob in dem Verfahren eine Einziehungsentscheidung hätte getroffen werden können, seien daher gem. Art. 316h S. 1 EGStGB die §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 (BGBl I, 872) anzuwenden. Daher könne auf den in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss angeführten Beschluss des OLG Köln vom 10.2.2011 (2 Ws 85/11) nicht mehr zurückgegriffen werden, denn der sei rech...