Nr. 4142 VV RVG
Leitsatz
- Die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV entsteht nur dann, wenn die Einziehung oder eine vergleichbare Maßnahme noch Gegenstand des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens ist.
- Hat die Staatsanwaltschaft gem. § 421 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO von der Einziehung oder nach § 435 StPO von der selbstständigen Einziehung abgesehen, ist die Einziehung oder eine dieser vergleichbaren Maßnahme nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.
- Wird der Rechtsanwalt danach als Pflichtverteidiger bestellt, löst eine von ihm beratende Tätigkeit im Laufe des Gerichtsverfahrens nicht die Gebühr Nr. 4142 VV aus.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.4.2022 – Ws 250/22
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hat am 9.6.2020 Anklage wegen Steuerhinterziehung und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen den Angeklagten beim AG – Schöffengericht für Wirtschaftsstrafsachen – erhoben. Darin führte sie aus:
Die entsprechende Verfügung der Staatsanwaltschaft datiert vom 3.6.2020. Nach Zustellung der Anklageschrift wurde mit Beschl. v. 8.7.2020 der bis dahin nicht mandatierte Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt.
Nach unveränderter Zulassung der Anklage fand am 28.10.2020 die Hauptverhandlung statt. Die die Einziehung betreffende Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 3.6.2020 wurde verlesen. In seinem Plädoyer beantragte der Beschwerdeführer u.a., gem. § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung von Wertersatz abzusehen. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine Einziehungsentscheidung traf das AG nicht. Die Einziehung war auch nicht Gegenstand sonstiger Erklärungen.
Der Rechtsanwalt hat die Festsetzung einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4142 VV beantragt. Er habe seinen Mandanten ausführlich über die Möglichkeit einer Einziehung beraten. Das reiche für die Entstehung der Gebühr aus.
Das AG hat die vom Verteidiger begehrte Gebühr nicht festgesetzt. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel des Rechtsanwalts hatten keinen Erfolg. Zur Begründung der Ablehnung der Festsetzung wurde von AG und LG jeweils ausgeführt, dass keine die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV auslösende Tätigkeit des Verteidigers festzustellen sei. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass eine solche Beratung des Mandanten geboten gewesen sei, da sich die Frage der Einziehung von Wertersatz zu diesem und auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht gestellt hätte. Die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte dann auch beim OLG keinen Erfolg.
II. Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr
Nach Auffassung des OLG hat der Pflichtverteidiger keinen Anspruch auf die beantragte Gebühr Nr. 4142 VV. Es liege keine diese Verfahrensgebühr auslösende Tätigkeit des Verteidigers vor. Voraussetzung für das Entstehen einer solchen Verfahrensgebühr sei eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehender Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme dient. Sinn der Einführung dieser Gebühr sei gewesen, im Hinblick auf die Zunahme von Verfahren mit Einziehungs- oder Verfallerklärung und im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, die die Anordnung dieser Maßnahmen für den Beschuldigten haben kann, eine Aufgabe der Regelungen in §§ 83 ff. BRAGO und eine Vereinfachung der Gebührenberechnung (BT-Drucks 15/1971, 228).
Die Verfahrensgebühr werde auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes ausgelöst (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., zu Nr. 4142 VV Rn 23 m.w.N.). Mit der Gebühr nach Nr. 4142 VV habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass zu den im Strafprozess unumgänglichen Überlegungen zur Schuld- und Straffrage eine weitere, die Eigentums- und Vermögenslage des Mandanten berührende Thematik hinzugetreten sei, die in der Regel Mehrarbeit verursacht. Erforderlich, aber auch ausreichend sei eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten (Burhoff/Volpert, a.a.O., m.w.N.).
Davon sei aber – entsprechend der Gesetzesbegründung – nur auszugehen, wenn die Frage der Einziehung nahe liege, entweder weil aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen sei oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden sei.
III. Beratung geboten?
Vorliegend hat nach Auffassung des OLG Nürnberg während des gerichtlichen Verfahrens für den Pflichtverteidiger keine Veranlassung für eine Beratung bestanden; diese sei nicht geboten gewesen. Im Hinblick auf die angeklagten Taten habe die Staatsanwaltschaft gem. § 421 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO von der Einziehung abgesehen. Soweit die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung weiterer Taten (Betrug/Solidaritätszuschlag) vorläufig nach § 154 Abs. 1...