Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG; § 15a Abs. 3 RVG
Leitsatz
Wird vorgerichtlich eine Teilzahlung geleistet und der Restbetrag sodann eingeklagt, ist im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren eine auf die Teilzahlung geleistete Geschäftsgebühr nicht anzurechnen.
LG Würzburg, Beschl. v. 31.3.2022 – 14 O 2373/20 Hei
I. Sachverhalt
Die Klägerin hatte außergerichtlich Schadensersatzansprüche aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers geltend gemacht. Die Beklagte hat vorgerichtlich einen Betrag i.H.v. 251.886,00 EUR gezahlt und daraus eine 2,5-Geschäftsgebühr ersetzt. Wegen der restlichen 490.926,00 EUR wurde Klage erhoben. Nach Abschluss eines Vergleichs meldete die Klägerin u.a. eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert von 490.926,00 EUR an. Die Beklagte wandte ein, die vorgerichtlich gezahlte Geschäftsgebühr müsse zu 0,75 ganz oder teilweise angerechnet werden. Die Rechtspflegerin hat diesen Einwand zurückgewiesen und antragsgemäß festgesetzt.
II. Erforderlich ist derselbe Gegenstand
Eine Anrechnung erfolgt nur, wenn und soweit sich die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr auf denselben Gegenstand beziehen. Bei der Frage, ob ein Bezug zu demselben Gegenstand vorliegt, wird auf prozessrechtliche Gegenstände abgestellt. Bereits aus der Klage wird deutlich, dass der Gegenstandswert von 251.886,00 EUR gerade nicht im Prozess anhängig gemacht worden ist. Daher ist keine Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstands nach Teil 2 VV entstanden. Die Voraussetzungen der Vorbem. 3 Abs. 4 VV sind nicht gegeben. Aus der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV wird deutlich, dass eine Anrechnung nur nach dem Wert des Gegenstands zu erfolgen hat, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Der Teil der Forderung i.H.v. 251.886,00 EUR war aber gerade nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Daher war die Verfahrensgebühr anrechnungsfrei festzusetzen.
Praxishinweis
Angerechnet wird eine Geschäftsgebühr nur, soweit der Geschäftstätigkeit und der nachfolgenden gerichtlichen Tätigkeit derselbe Gegenstand zugrunde liegt. Handelt es sich aber um verschiedene Gegenstände oder Teilgegenstände, wird nicht angerechnet.
III. Bedeutung für die Praxis
Aus den weiteren 490.926,00 EUR kann jetzt i.Ü. auch noch eine Geschäftsgebühr ersetzt verlangt werden, da sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass sich der Erledigungswert insgesamt auf (251.886,00 EUR + 490.926,00 EUR =) 742.812,00 EUR beläuft.
Allerdings kann keine weitere Geschäftsgebühr aus dem Klagewert von 490.926,00 EUR verlangt werden. Zu berücksichtigen ist die Rspr. des BGH (AGS 2014, 325 = RVGreport 2014, 391 = NJW-RR 2014, 1341). Insgesamt kann daher nur eine 2,5-Geschäftsgebühr aus 742.812,00 EUR verlangt werden abzüglich der bereits gezahlten Geschäftsgebühr aus 251.886,00 EUR. Gleichzeitig ist dann aber die Anrechnung aus dem Wert von 490.926,00 EUR zu berücksichtigen. Da die Verfahrensgebühr bereits festgesetzt ist, ist die Anrechnung gem. § 15a Abs. 1, 3 RVG nunmehr bei der Verfahrensgebühr selbst vorzunehmen. Es ergibt sich damit folgende Abrechnung:
1. |
2,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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10.910,00 EUR |
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(Wert: 742.812 EUR) |
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2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
– 2.654,25 EUR |
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0,75 aus 490.926,00 EUR |
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3. |
abzgl. gezahlter 2,5-Geschäftsgebühr aus 251.886,00 EUR |
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– 6.207,50 EUR |
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Zwischensumme |
2.048,25 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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389,17 EUR |
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Gesamt |
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2.437,42 EUR |
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 9/2022, S. 421 - 422