§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO; §§ 46, 71 OWiG; § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO
Leitsatz
Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers kommt nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist nur unter besonderen Voraussetzungen, die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall.
LG Oldenburg, Beschl. v. 13.7.2022 – 5 Qs 217/22
I. Sachverhalt
Das AG Vechta hat das Verfahren gegen den Betroffenen im Hauptverhandlungstermin am 22.2.2022 nach § 47 OWiG eingestellt und die Erstattung notwendiger Auslagen angeordnet. Im Hauptverhandlungstermin war der aus Torgau angereiste Verteidiger des Betroffenen, der zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides in Torgau gewohnt hat und nun in Leipzig wohnhaft ist, anwesend. Durch Beschluss des AG sind dann die notwendigen Auslagen und auch die Umsatzsteuer nur teilweise zur Erstattung aus der Staatskasse festgesetzt worden. Die Erstattung von Reisekosten des Verteidigers des Betroffenen hat das AG abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte – weitgehend – Erfolg.
II. Reisekosten
1. Grundsätze für die Erstattung von Reisekosten
Hinsichtlich der Übernachtungskosten sowie der Festsetzung der Mehrwertsteuer weist das LG auf Folgendes hin: Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers komme gem. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei. Dies sei nur unter besonderen Voraussetzungen (vgl. insoweit Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., 2022, § 464a Rn 12 m.w.N.), die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall. Die Erstattungsfähigkeit sei danach zu bejahen, wenn bei einer schwierigen oder abgelegenen Rechtsmaterie ein Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen, die kein Rechtsanwalt vor Ort habe, erforderlich erscheine (u.a. OLG Bamberg JurBüro 1987, 558; OLG Düsseldorf NJW 1971, 1146; NStZ 1981, 451). Auch wenn der Angeklagte selbst weit vom Gerichtsort entfernt wohne und er ansonsten zur Rücksprache mit seinem Verteidiger große Strecken fahren müsste, oder wenn der Angeklagte bei Beauftragung des Anwalts davon ausgehen konnte, dass das Verfahren am Kanzleiort des Rechtsanwalts geführt werde, seien die Auslagen wohl als notwendige anzusehen (OLG Celle StV 1986, 208; LG Flensburg JurBüro 1984, 1537). Einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Betroffenen/Angeklagten komme nur bei einem schweren Schuldvorwurf regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu (OLG Celle StV 1993, 135; OLG Köln NJW 1992, 586; OLG Naumburg StraFo 2009, 128 = AGS 2009, 308). Es handele sich um eine Einzelfallentscheidung.
2. Würdigung der Umstände des Einzelfalls
Nach Würdigung aller Gesamtumstände ist das LG dann zu dem Ergebnis gekommen, dass die Hinzuziehung des Verteidigers für den vormals Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war: Der Betroffene sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids in 04860 Torgau wohnhaft gewesen und wohne derzeit in 04157 Leipzig. Der von ihm beauftragte Rechtsanwalt habe seinen Kanzleisitz in Torgau, was sich zunächst an seinem Wohnsitz und nunmehr in örtlicher Nähe zu seinem jetzigen Wohnsitz befindet. Überdies sei dem Betroffenen im vorliegenden Fall mit Bußgeldbescheid vom 16.12.2020 wegen eines Verstoßes gegen § 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 24 Infektionsschutzgesetz (IfSG) i.V.m. § 32 S. 1 IfSG sowie den §§ 28, 29, 30 Abs. 1 2 IfSG eine Geldbuße von 25.000,00 EUR – mithin eine sehr empfindsame finanzielle Belastung – auferlegt worden. Schließlich bestehe ausweislich des Vortrags des Rechtsanwalts seit vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem ehemals Betroffenen. Eine Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Kanzleisitz am Ort des Prozessgerichts erschien dem LG unter Berücksichtigung dieser Umstände unzumutbar. Die seitens des Rechtsanwalts beantragten Reisekosten seien daher erstattungsfähig.
3. Übernachtungskosten
Zu den Reisekosten gehören nach Auffassung des LG als sonstige Auslagen (Nr. 7006 VV) auch angemessene Übernachtungskosten. Die Erstattungsfähigkeit von Übernachtungskosten orientiere sich dem Grunde nach allein an der Frage der Zumutbarkeit eines Reisebeginns zur Nachtzeit (§ 758a Abs. 4 ZPO). Ein Reiseantritt (ab der Wohnung des Rechtsanwalts) vor 6 Uhr morgens sei in der Regel nicht zumutbar (OLG Nürnberg AGS 2013, 201). Die Verhandlung habe am 22.2.2022 um 9:30 Uhr begonnen. Bei einer Fahrtzeit aus Torgau zum AG Vechta von über vier Stunden wäre ein Reiseantritt vor sechs Uhr morgens – mithin zur Nachtzeit – erforderlich und somit unzumutbar gewesen, weshalb das LG die Übernachtungskosten als notwendig und mithin als erstattungsfähig ansieht.
Zu berücksichtigen sei aber, dass in den Übernachtungskosten, die seitens des Verteidigers ...