1. Voraussetzungen

Beratungshilfe kann nur dann zugesprochen werden, wenn die rechtsuchende Partei bedürftig i.S.d. BerHG ist. I.S.d. BerHG meint dabei, dass die rechtsuchende Partei derart bedürftig sein muss, dass in einem vergleichbaren PKH/VKH-Verfahren eine Ratenzahlung ausscheiden würde. Die Partei darf also aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufbringen können. Insoweit erfolgt im BerHG eine Bezugnahme auf die Bestimmungen des § 114 Abs. 1 S. 1 1. HS ZPO. Die Ermittlung des einzusetzenden Einkommens, des zumutbar einzusetzenden Vermögens sowie die Frage, ob Raten zu zahlen wären, ergeben sich aus § 115 ZPO. Dieser legt fest, inwieweit die Partei ihr Einkommen und Vermögen einzusetzen hat. Es ist auf die Einkommens- und Vermögenslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Beratungshilfe abzustellen. Die Reihenfolge der Prüfungen der Voraussetzungen ist nicht vorgeschrieben. Das Einkommen und das Vermögen stehen zueinander in keinem Rangverhältnis. Man kann daher mit der Prüfung, ob verwertbares Vermögen vorhanden ist, oder auch mit der Prüfung des Einkommens beginnen.

2. Einsatz von Vermögen und Einkommen in Zeiten gestiegener Preise

Gem. § 115 Abs. 1 S. 1 ZPO ist das frei verfügbare Einkommen einzusetzen. Hierzu zählen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO. Der Einkommensbegriff knüpft an denjenigen des Sozialhilferechts an (vgl. insoweit § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII), da die PKH/VKH eine Form der staatlich gewährten Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege ist. Gem. § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII sind dabei jedoch Leistungen nach dem SGB XII und Grundrenten nach dem BVG ausdrücklich ausgenommen. Unterhalts- oder steuerrechtliche Bestimmungen sind nicht heranzuziehen. Die zu § 82 SGB XII ergangene DVO105 ist in § 115 ZPO nicht genannt. Sie stellt lediglich eine wichtige Beurteilungshilfe zur Ermittlung des verfügbaren Einkommens dar. Gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1a ZPO sind von dem ermittelten Einkommen bestimmte Beträge abzuziehen. Dieser verweist auf die in § 82 Abs. 2 SGB XII bezeichneten Beträge. Ebenfalls zu berücksichtigen ist der sog. Erwerbstätigenbonus (Abzug gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO) sowie die Freibeträge (Abzüge gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2a und 2b ZPO). Auf die jeweiligen Bekanntmachungen zu § 115 ZPO in aktuellster Variante wird verwiesen. Mehrbedarfe sowie Besonderheiten im Rahmen von Unterhaltsberechtigten sollen an dieser Stelle nicht erörtert werden. Abzuziehen sind ebenfalls die Kosten der (angemessenen) Unterkunft und Heizung (Abzüge gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 ZPO), Mehrbedarfe sowie besondere Belastungen (Abzüge gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 ZPO). Gerade hier wird im Winter 2022/2023 anzunehmen sein, dass aufgrund der gestiegenen Energiepreise, der Gasumlage und der sonstigen Teuerung ein nachhaltiger Anstieg an Bedürftigen i.S.d. BerHG einsetzen wird. Sieht man die Multiplikatoren der Teuerungen im Energiebereich, dürften die Kosten der Heizung bald nicht mehr nur als die "zweite Miete" verstanden werden. Vielmehr wird anzunehmen sein, dass die gestiegenen Heizkosten einen Hauptbestandteil der Bedürftigkeitsprüfung ausmachen, und damit – da voll absetzbar – letztlich zu einer (u.U. vorübergehenden) Bedürftigkeit i.S.d. BerHG führen können.

 

Beispiel 1

Der rechtsuchende Bürger Max Mustermann verdient ausrechend Einkommen. Bisher musste er seinen Anwalt selbst bezahlen, da er für die Inanspruchnahme der Beratungshilfe zu "reich" galt. Im Herbst 2022 benötigt er einen Anwalt. Da er aufgrund stark gestiegener Gaspreise höhere Abschlagszahlungen/höhere monatliche Kosten hat, kommt er nun "in den Genuss" der Beratungshilfe.

In einem solchen Beispielsfall kann es also dazu führen, dass ein Kreis an verdienenden Bürgerinnen und Bürger einzig der gestiegenen Energiekosten wegen in den Kreis der Berechtigten Einzug erhält und ggfs. dort wieder herausfällt, sollten die Preise wieder fallen. Für die Beratungsperson bedeutet dies zusätzlichen Prüfungsaufwand. Gestiegene Energiepreise sollten und müssen in solchen "Grenzfällen" der Bedürftigkeit daher neu kalkuliert und bedacht werden, immer mit dem Blick auf die Zukunft, denn nicht selten "entstehen" die höheren Kosten bereits heute, wurden aber ggfs. wegen Nichtanpassung der Abschlagsraten noch nicht angepasst. Zu erwartende Jahreskosten der Heizung müssen daher perspektivisch in einen Antrag mit einberechnet werden.

3. Einsatz der Energiepreispauschale?

Im Zusammenhang mit den Preisen für einen gestiegenen Energiebedarf stellt sich auch zweifelsfrei aktuell die Frage, ob die durch das Steuerentlastungsgesetz 2022[1] etablierte "Energiepreispauschale" (EPP) Berücksichtigung in der Beratungshilfe findet. Die EPP soll nach dem Willen des Gesetzgebers allen einkommensteuerpflichtig Erwerbstätigen eine Entlastung bieten. In Form einer einmaligen Gutschrift i.H.v. 300,00 EUR sollen die aktuellen Härten im Bereich der Energiepreise gemildert werden. Der Anspruch entsteht am 1.9.2022 (vgl. § 114 EStG) und beziffert sich nach § 112 EStG mit einmalig 300,00 EUR für jeden Anspruch...

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