Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass sich die bereits in den früheren Beiträgen dargestellte Tendenz in der obergerichtlichen Rspr., noch weniger Pauschgebühren festzusetzen als unter Geltung des § 99 BRAGO, fortgesetzt hat. Die OLG entscheiden inzwischen so restriktiv, dass sich Pflichtverteidiger in vielen Fällen erst gar nicht mehr die Mühe machen, einen Pauschgebührantrag zu stellen, da dieser im Zweifel doch abgelehnt wird. Damit ist m.E. das Einkommen des Pflichtverteidigers insbesondere in "Mammutverfahren" nicht bzw. kaum noch angemessen gewährleistet.
M.E. ist es erschreckend, was die OLG den Pflichtverteidigern zumuten. Als Beispiel ist hier ein Beschl. des OLG Frankfurt v. 10.2.2016 anzuführen. Darin hat das OLG dem Pflichtverteidiger bei einem Aktenumfang von rund 24.000 Seiten, in die sich der Pflichtverteidiger im Ermittlungsverfahren hat einarbeiten müssen, noch nicht einmal anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV eine Pauschgebühr gewährt. Das hat es u.a. damit begründet, dass zwei Pflichtverteidiger bestellt gewesen seien. Das BVerfG hat die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Aus Karlsruhe ist also auch keine Hilfe bei dem beklagenswerten Zustand zu erwarten. Das zeigt sich auch sehr deutlich an dem BVerfG-Beschl. v. 22.7.2019 – 1 BvR 1955/17. Darin hat das BVerfG die (Nicht-)Gewährung einer Pauschgebühr für einen Zeugenbeistand, der an einer Vernehmung des Zeugen, die an drei Hauptverhandlungsterminen über etwa 9,5 Stunden stattfand, teilgenommen hatte, und dafür vom OLG Düsseldorf mit einer Vergütung von 200,00 EUR "abgespeist" worden war, nicht beanstandet. Lichtblicke sind dann aber mal verfassungsrechtliche Entscheidungen, in denen von einer Verletzung des Grundrechts des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) durch Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer Pauschgebühr ausgegangen wird, oder vereinzelte OLG-Entscheidungen.
Diese Entwicklung entspricht sicherlich nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers bei Einführung des RVG, sie ist aber inzwischen unumkehrbar. Dies vor allem auch im Hinblick darauf, dass auch der BGH nach wie vor seinen falschen Ansatz, die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG komme nur in "exorbitant" umfangreichen oder schwierigen Verfahren vor, vertritt. Hinzu kommt, dass die OLG den durch das RVG neu eingeführten Gebührentatbeständen bei der Bewilligung einer Pauschgebühr besonderes Gewicht beimessen, sodass wegen der sog. Längenzuschläge für den Pflichtverteidiger insbesondere die Dauer der Hauptverhandlungstermine als Zeitmoment nur noch in Ausnahmefällen bei der Bewilligung zur Verfügung stehen soll. Der Begriff der "Zumutbarkeit" i.S.v. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG wird insgesamt viel zu eng ausgelegt.