1. Voraussetzungen für die Gewährung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr
Angesichts der vom OLG im Beschluss mitgeteilten Verfahrenstatsachen liegt es auf der Hand, dass die vom OLG getroffene Entscheidung zutreffend ist, und zwar sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob das Verfahren (schon) "besonders umfangreich" i.S.d. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG war, als auch im Hinblick darauf, dass dem Pflichtverteidiger ein Vorschuss zu gewähren war. Die vom OLG mitgeteilten Daten sprechen für sich. Sowohl der Aktenumfang als auch die (bisherige) Dauer der Hauptverhandlung sind bemerkenswert. Anzumerken ist allerdings, dass § 51 RVG für die Gewährung einer Pauschgebühr kein "exorbitantes Verfahren" voraussetzt. Es ist inzwischen aber müßig, darauf noch näher einzugehen. Die OLG beten diese falsche Formulierung des BGH nach, ohne sie einmal näher auf ihre Richtigkeit abzuklopfen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 2 f.).
2. Höhe des Vorschusses
Gegen die vom OLG gewählte Berechnungsmethode, die vornehmlich auf den Aktenumfang abstellt, ist – im Ergebnis – nichts einzuwenden. Der Aktenumfang ist in der Tat ein objektives Merkmal, mit dem man recht gut die Pauschgebühr be-/errechnen kann. Ob es – wie es beim OLG erscheint – das wichtigste Merkmal ist und/oder ob daneben nicht auch auf die Dauer der Hauptverhandlung abzustellen ist, kann hier dahinstehen, da das OLG ja auch insoweit eine Erhöhung vorgenommen hat. Interessant und für die Rspr. der nächsten Jahre sicherlich von Bedeutung/Interesse ist die Berücksichtigung der Einschränkungen, die sich im Verfahren durch die Covid-19-Pandemie ergeben haben. Dazu wird sicherlich Rspr. anderer OLG folgen (müssen).
3. Keine Begrenzung der Pauschgebühr
In Zusammenhang mit der Höhe der Pauschgebühr weist das OLG auf die "Schwelle des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG" hin. Insoweit ist anzumerken, dass es bei der Pauschgebühr des Pflichtverteidigers nach § 51 RVG, über die hier zu entscheiden war, eine solche "Schwelle" – gemeint ist offenbar das Doppelte der Wahlanwaltshöchstgebühr –, nicht gibt und die "Schwelle des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG" betreffend die Pauschgebühr des Wahlanwalts wegen der anderen Interessenlage bei der Pauschgebühr des Pflichtverteidigers nicht herangezogen werden kann (Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 61 m.w.N.).
4. Besonderheiten beim Vorschuss
Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass es sich um die Gewährung eines Vorschusses nach § 51 Abs. 1 S. 5 RVG auf eine demnächst zu gewährende Pauschgebühr handelt. Es ist also noch nicht die endgültige Festsetzung der Pauschgebühr, die erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erfolgen wird. Darauf hat das das OLG ausdrücklich hingewiesen und ausgeführt, dass es nicht auszuschließen sei, "dass der Senat bei der endgültigen Festsetzung einer Pauschgebühr weitere, vom Antragsteller dann vorgetragene individuelle Gesichtspunkte, aber auch neu zutage getretene generell-abstrakte Erwägungen werde miteinfließen lassen müssen, bei ersteren werde ggfs. die Rspr. des BGH (BGH, a.a.O.) zu beachten sein. Gemeint ist damit offenbar der Umstand, dass der Pflichtverteidiger hier so weit entfernt vom Prozessort wohnt, dass sich an dem sitzungsfreien Tag zwischen den beiden Hauptverhandlungstagen/Woche eine Heimfahrt nicht gelohnt hat. Dazu ist anzumerken, dass in dem Zusammenhang dann aber der Umstand der Fahrtzeit eine Rolle spielen dürfte und gegengerechnet werden müsste (zu den Fahrtzeiten Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 136 f.)."
5. Zur Höhe des Vorschusses
Schließlich: Dem ein oder anderen wird der gewährte Betrag von rund 142.000,00 EUR hoch erscheinen. Aber das gilt nur für den sog. "ersten Blick". Denn man muss berücksichtigen, dass der Verteidiger in diesem Verfahren mindesten schon seit Juni 2020, also etwa 26 Monate, tätig ist, und zwar weitgehend ausschließlich. Das entspricht einer monatlichen Bruttoeinnahme (durch dieses Verfahren) von rund 5.500,00 EUR. Berücksichtigt man den Zeitaufwand für die Einarbeitung in und die Bearbeitung von 253 Band Stehordner Ermittlungsakten, 23 Band Gerichtsakten sowie Beiakten vor sowie die Teilnahme an bislang 85 Hauptverhandlungstagen, relativiert sich nicht nur sehr schnell der "hohe Betrag", sondern m.E. auch die Annahme des OLG, dass durch die gewährte Pauschgebühr/der Vorschuss dem Pflichtverteidiger "ein hinreichender Ausgleich ermöglicht wird". Jedenfalls ist die gewährte Pauschgebühr auf keinen Fall "übersetzt".
In demselben Staatsschutzverfahren hat übrigens das OLG Stuttgart (AGS 2022, 309 [Burhoff]) einem Zeugenbeistand eine Pauschgebühr i.H.v. 420,00 EUR bewilligt. Zur Pauschgebühr s. ferner die ausführliche Darstellung von Burhoff in AGS 2022, 385, in diesem Heft.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 9/2022, S. 404 - 407