§§ 104 Abs. 3 S. 1, 308 Abs. 1 ZPO; Nrn. 2300, 3200 VV RVG

Leitsatz

Der Rechtspfleger darf im Kostenfestsetzungsverfahren innerhalb des insgesamt beantragten Betrages und im Rahmen des dem Betrag zugrunde gelegten Sachverhalts einen Positionsaustausch dahin vornehmen, dass er statt einer geforderten, aber nicht entstandenen Gebühr eine andere, nicht zur Festsetzung angemeldete, aber angefallene Gebühr festsetzt.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.12.2022 – 6 W 68/22

I. Sachverhalt

Der Beklagte hatte aufgrund der ihm günstigen Kostenentscheidung des LG Potsdam im Wege der Nachfestsetzung die Festsetzung einer 1,3-Geschäftsgebühr beantragt. Der Rechtspfleger des LG Potsdam hat diesem Kostenfestsetzungsantrag stattgegeben. Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Klägerin geltend gemacht, die zur Festsetzung angemeldete Geschäftsgebühr sei dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten im gerichtlichen Verfahren, über die sich die Kostenentscheidung des LG Potsdam verhält, nicht angefallen.

Der hierzu gehörte Beklagte hat im Beschwerdeverfahren klargestellt, es handele sich bei dem Antrag auf Nachfestsetzung der Geschäftsgebühr um einen Schreibfehler. Stattdessen habe die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV beantragt werden sollen. Der Rechtspfleger habe dieses Versehen auch erkannt.

Das OLG Brandenburg hat die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen.

II. Austausch von Gebührenpositionen

Nach Auffassung des OLG Brandenburg kann dahinstehen, ob dem Beklagten in seinem Nachfestsetzungsantrag tatsächlich ein Schreibfehler unterlaufen ist. Denn seiner Prozessbevollmächtigten sei für das Betreiben des Geschäfts im Rahmen des Rechtsstreits eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV in derselben Höhe wie die beantragte Geschäftsgebühr angefallen.

Diese Verfahrensgebühr habe der Rechtspfleger festsetzen dürfen, auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Beklagten diese nicht beantragt habe. Das Kostenfestsetzungsverfahren sei zwar ein antragsabhängiges Verfahren mit der Folge, dass der Rechtspfleger gem. § 308 Abs. 1 ZPO über den von dem Antragsteller gestellten Antrag keine hinausgehende Festsetzung vornehmen dürfe. Allerdings sei der Rechtspfleger – so fährt das OLG Brandenburg fort – innerhalb des insgesamt beantragten Betrages und im Rahmen des den Betrag zugrunde gelegten Sachverhaltes berechtigt, einen Positionsaustausch dahin vorzunehmen, dass statt einer geforderten, aber nicht entstandenen Gebühr eine andere, nicht zur Festsetzung angemeldete, aber angefallene Gebühr berücksichtigt werden konnte. Wenn diese Voraussetzungen – wie hier – erfüllt worden seien, liege ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO nicht vor.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Positionsaustausch

Die Entscheidung des OLG Brandenburg entspricht der allgemeinen Auffassung in Rspr. und Lit. (s. Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 104 Rn 21.20 und 21.39). Voraussetzung ist allerdings, dass beide Kostenpositionen auf demselben Sachverhalt beruhen. Außerdem muss sich der Positionenaustausch in den Grenzen des begehrten Gesamtbetrages halten, sodass einzelne, nicht beantragte Positionen anstelle beantragter, aber unbegründeter Einzelposten festgesetzt werden können (BGH AGS 2020, 378 m. Anm. Volpert = RVGreport 2020, 222 [Hansens] = zfs 2020, 403 m. Anm. Hansens).

a) Beispiele aus der Rechtsprechung zum Kostenfestsetzungsverfahren

Festsetzung einer 5/10-Prozessgebühr nach § 32 Abs. 2 BRAGO nach dem Wert des mit verglichenen Räumungsprozesses statt der beantragten 10/10-Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO, begrenzt durch die Höhe der beantragten Gebühr (KG JurBüro 1977, 1401 m. Anm. Mümmler = AnwBl. 1977, 510),
Ersetzung der beantragten, aber nicht entstandenen Verkehrsgebühr nach § 52 Abs. 1 BRAGO im Beschwerdeverfahren durch eine entstandene, aber nicht beantragte Prozessgebühr des Prozessbevollmächtigten nach § 31 Abs. 1 S. 1 BRAGO (OLG Frankfurt JurBüro 1988, 499),
Festsetzung einer 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV, berechnet nach dem Kostenwert anstelle der beantragten, aber nicht entstandenen 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV aus dem Hauptsachewert (OLG Stuttgart AGS 2021, 167 [N. Schneider] = JurBüro 1921, 198).

b) Bespiele aus der Rechtsprechung zum Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung

Die vom OLG Brandenburg für das Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO herangezogenen Grundsätze gelten auch Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung gem. § 128 BRAGO bzw. § 55 RVG:

Festsetzung der 10/10-Erörterungsgebührt nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO statt der beantragten, dem beigeordneten Rechtsanwalt aber nicht entstandenen Verhandlungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO (OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 966),
Festsetzung zugunsten des PKH-Anwalts einer nicht beantragten Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV a.F. statt der nicht angefallenen Erledigungsgebühr nach Nrn. 1002, 1006 VV a.F. (LSG München, Beschl. v. 6.2.2019 – L 12 SF 22/15 E).

2. Nachfestsetzung

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des LG Potsdam ist im Fall des OLG Brandenburg auf einen Nachfests...

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