1. Man mag es nicht glauben

Wenn man es gelesen hat, mag man es nicht glauben. Die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 GKG KV soll beim ortsansässigen Verteidiger nicht erstattungsfähig sein. Man fühlt sich zurückgesetzt ins vorige Jahrhundert, als um diese Frage gestritten worden ist. Was bei dem Beschluss vor allem sauer aufstößt, ist der Umstand, dass der entscheidende Amtsrichter offenbar die Rspr. anderer Abteilungen des AG Tiergarten nicht kennt, die die Frage genau anders lösen (vgl. AG Tiergarten, Beschl. v. 21.2.2023 – 336 Cs 209/18). Und noch schlimmer: Abgesehen davon, dass ihn, aber auch die Rechtspflegerin und den Bezirksrevisor die andere Auffassung der h.M. in Rspr. und Lit. (dazu unter III., 3.) nicht zu interessieren scheint, erwähnt er mit keinem Wort den VerfGH Berlin (Beschl. v. 18.5.2022 – 91/21, StraFo 2023, 27 = AGS 2022, 557 = StRR 12/2022, 33 = VRR 2/2023, 27). "Mia san eben mia": Vielleicht kennt er den Beschluss aber auch nicht, was die Sache nicht besser macht. Der VerfGH hat die Nichterstattung der Aktenversendungspauschale mit der Begründung, es handle sich um eine Serviceleistung des Gerichts, als willkürlich angesehen. Die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, sei nämlich eine Einsichtnahme in den Räumen der Ermittlungsbehörden, was aber eine deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative darstelle.

2. Gebühren/Auslagen

Zudem: Der Amtsrichter scheint auch den Unterschied zwischen anwaltlicher Vergütung und Auslagen nicht zu kennen (vgl. § 1 Abs. 1 RVG). Gebühren sind das Entgelt für die Anwaltstätigkeit. Davon zu unterscheiden sind die Auslagen. Die Auslagen, die nicht zu den allgemeinen Geschäftskosten gehören, kann der Rechtsanwalt geltend machen. Dies ist ausdrücklich in Vorbem. 7 Abs. 1 S. 2 VV geregelt. Die Gebühren, die dem Rechtsanwalt zustehen, decken die von ihm gezahlten Auslagen nicht ab. I.Ü. ist es Unsinn, wenn das AG meint, die Kosten der Akteneinsicht seien nicht gesondert anzusetzen, sondern in der Grund- und Verfahrensgebühr enthalten. Das ist nicht der Fall, weil diese Frage mit "anwaltlicher Tätigkeit" nicht zu tun hat. Das wird bisher, soweit ersichtlich, auch nicht vertreten.

3. Serviceleistung

Für die Frage der Erstattung gilt: Bei der Übersendung der Akten zur Akteneinsicht handelt es sich nicht um eine "Serviceleistung" des Gerichts. Das bedeutet, dass der Wahlverteidiger, und zwar auch der ortsansässige (AG Köln, Beschl. v. 8.6.2018 – 707 Ds 101/15, Beschl. v. 8.6.2018 – 707 Ds 101/15, RVGreport 2018, 347 m. Anm. Burhoff, VRR 7/2018, 22; Beschl. v. 5.7.2018 – 707 Ds 101/15), die ihm insoweit entstandenen Kosten im Innenverhältnis von seinem Mandanten ersetzt verlangen kann (BVerfG NJW 1995, 3177; KG RVGreport 2009, 154; LG Potsdam NStZ-RR 2013, 31 = AGS 2012, 564; LG Zweibrücken RVGreport 2012, 218 = AGS 2012, 234). Wird der Mandant später freigesprochen, kann er Erstattung aus der Staatskasse verlangen (u.a. VerfGH Berlin, a.a.O.; OLG Naumburg AGS 2011, 598 = RVGreport 2012, 70; LG Ravensburg AnwBl. 1995, 153; AG Leipzig NStZ-RR 2000, 319; AG Tiergarten, Beschl. v. 21.2.2023 – 336 Cs 209/18; vgl. auch AG Lemgo RVGreport 2014, 238; SG Fulda RVGreport 2016, 386; VG Regensburg RVGreport 2015, 198). Der Pflichtverteidiger kann die von ihm gezahlte Aktenversendungspauschale gem. § 46 RVG als Auslagen ersetzt verlangen (s.a. AG Köln StraFo 2013, 526; AGS 2014, 103; AG Geesthacht AnwBl. 1996, 476 [zur entsprechenden Anwendung des § 27 BRAGO]; AG Leipzig NStZ-RR 2000, 319; AG Tiergarten, Beschl. v. 21.2.2023 – 336 Cs 209/18; zu allem eingehend Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 212 ff.). Die zum Pflichtverteidiger teilweise vertretene a.A. ist durch die Entscheidung des BGH v. 6.4.2011 (IV ZR 232/08, NJW 2011, 3041) überholt.

4. Verfassungsbeschwerde

Man kann angesichts dieser Rechtslage, dem betroffenen Verteidiger nur empfehlen, noch einmal den Weg zum VerfGH Berlin zu wählen. Die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde sind m.E. groß. Diesen Weg sollte er allein schon deshalb wählen, weil solche falschen Entscheidungen sonst schnell Schule machen. Eine (unheilige) Allianz zwischen Rechtspfleger, Bezirksrevisor und AG ist, wie die Entscheidung zeigt, schnell gebildet. Die Landeskasse (Berlin) wird es freuen, die Verteidiger weniger. Zwar handelt es sich nur um einen Betrag von 12,00 EUR, aber: "Auch Kleinvieh macht Mist."

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

AGS 9/2023, S. 407 - 408

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