§ 14 RVG; §§ 467 Abs. 1, 464a Abs. 1 S. 2 StPO

Leitsatz

  1. Den gesetzlichen Regelungen des RVG ist nicht zu entnehmen, dass in den Fällen straßenverkehrsrechtlicher Bußgeldverfahren grundsätzlich von einer unterdurchschnittlichen Bedeutung der Sache i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG auszugehen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Rahmen des Zwischenverfahrens die technischen Voraussetzungen der Messung, die der in einem Bußgeldbescheid vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegt, durch ein privates Sachverständigengutachten überprüft werden sollen.
  2. Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens im Rahmen eines Bußgeldverfahrens sind dann als notwendige Kosten i.S.d. § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 467 Abs. 1, 464 a Abs. 1 S, 2 StPO anzusehen, wenn ohne die Anbringung durch sachverständige Feststellungen unterlegte, konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung damit zu rechnen gewesen wäre, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde.

LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 4.5.2023 – 6 Qs 394 Js 26340/21 (56/23)

I. Sachverhalt

Dem Betroffenen ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer BAB zur Last gelegt worden. Es wurde deshalb eine Geldbuße von i.H.v. 100,00 EUR gegen ihn festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz Einspruch ein. Der Betroffene beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Messung. In dem sodann erstellten und dem AG vorgelegten Gutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Messserie im Hinblick auf die Fotopositionen Auffälligkeiten aufweise. Das AG hob daraufhin einen zuvor bereits bestimmten Hauptverhandlungstermin auf und beauftragte seinerseits einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens. Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die einwandfreie elektronische Funktion der Messanlage für den Messzeitraum nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. Der Betroffene wurde daraufhin im Beschlusswege (§ 72 OWiG) freigesprochen und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Landeskasse auferlegt.

Der Betroffene hat nun beantragt, seine notwendigen Auslagen gegen die Landeskasse festzusetzen. Dabei ist er bei den anwaltlichen Gebühren jeweils von der Mittelgebühr ausgegangen. Die Bezirksrevisorin hat das teilweise, u.a. bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV, beanstandet. Zudem hat sie der Festsetzung der Kosten für den privat durch den Betroffenen beauftragten Sachverständigen widersprochen. Eine Verwendung des privaten Sachverständigengutachtens sei im Verfahren nicht erfolgt. Zudem sei es Aufgabe der Verteidigung, anhand von Rspr. und Lit. selbst zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für Messfehler und sonstige Ungenauigkeiten gegeben habe.

Das AG hat die Auslagen unter Berücksichtigung der Ausführungen der Bezirksrevisorin festgesetzt. Eine Festsetzung der Umsatzsteuer erfolgte ebenfalls nicht, da der Betroffene vorsteuerabzugsberechtigt sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

II. Höhe der Rahmengebühren

Nach Auffassung des LG entsprechen die von dem Verteidiger geltend gemachten Gebühren billigem Ermessen und seien daher verbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 1, 4 RVG).

1. Allgemeine Grundsätze

Die Bemessung von Rahmengebühren habe der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen vorzunehmen. Unbillig und damit nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unverbindlich sei der Gebührenansatz dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Gebühr liege, da einem Rechtsanwalt insoweit eine Toleranzgrenze eingeräumt wird (BGH, Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420, 421 m.w.N.). Maßgebliche Kriterien für die Bemessung von Rahmengebühren sind u.a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers. Die sog. Mittelgebühr ist anzusetzen, wenn der "Normalfall" vorliegt, also ein Fall, in dem sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 26., Aufl., 2023, § 14 Rn 10). Aus Sicht der Kammer ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des RVG kein Grund dafür, in den Fällen straßenverkehrsrechtlicher Bußgeldverfahren grds. davon auszugehen, dass der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt nicht gerechtfertigt ist (so auch Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 Rn 54 m.w.N.). Vielmehr sei stets der konkrete Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts zu bemessen.

2. Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV entstehe für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information durch den Rechtsanwalt, Dazu gehören insbesondere auch die Tätigkeiten...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?