§§ 408, 465 StPO
Leitsatz
Das Gericht kann einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung erlassen; § 408 Abs. 3 S. 2 StPO steht dem nicht entgegen.
AG Kehl, Beschl. v. 18.7.2023 – 2 Cs 308 Js 17340/22
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hatte den Erlass eines Strafbefehls u.a. mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte beantragt. Der Angeklagte habe sich tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt. Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei am Tattag gegen 0:55 Uhr "volltrunken" auf dem Gehweg gelegen sei und sich in "einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand" befunden habe, gab das AG die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.
Das daraufhin vom AG eingeholte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.
Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatanwaltschaft zwar dann mit dem Antrag vom 6.6.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des AG, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gem. § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsah, dass der Angeklagte "die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen" habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sog. fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.
Das AG hat den Strafbefehl erlassen, aber eine vom Entscheidungsentwurf der Staatsanwaltschaft abweichende Kostenentscheidung getroffen.
II. Kostenentscheidung ist nicht Rechtsfolge
Zwar bestimme § 408 Abs. 3 S. 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen dürfe, sondern Hauptverhandlung anberaume, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen wolle und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharre. Die Kostenentscheidung sei aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten sei. Vielmehr umfasse der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat i.S.d. Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des StGB.
III. Gesetzeshistorie
Ursprünglich hat § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 1.7.1877 (RGBl 253) entsprechenden Fassung (RGBl I 1924, 322) bestimmt, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 S. 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen sei, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen wolle und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharre (Abs. 2 S. 2 i.V.m. S. 1); zugleich hat § 464 Abs. 1 S. 1 StPO, wie immer noch, geregelt, dass jeder Strafbefehl darüber eine Bestimmung treffen müsse, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen seien. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – i.Ü. auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl., 2023, StPO § 464 Rn 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens ist durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl I, 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert worden, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BT-Drucks 7/550, 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl I, 469) durch "Rechtsfolge" ersetzt worden ist.
IV. § 465 Abs. 2 StPO
Die Kostenentscheidung beruht nach Auffassung des AG Kehl auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung habe der Angeklagte grds. die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen für das Gutachten zu belasten, wäre jedoch – so das AG – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden seien, um die Staatsanwaltschaf...