a) Neufestsetzung als Teil des Erkenntnisverfahrens
Bei Tateinheit (§ 52 StGB) von weiterhin strafbaren und seit dem 1.4.2024 straflosen Handlungen ist gem. Art. 316p, 313 Abs. 3 EGStGB eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich. Auch eine bei Tatmehrheit (§ 53 StGB) gebildete Gesamtstrafe muss gem. Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB neu festgesetzt werden, wenn eine seit 1.4.2024 straflose Tat Teil der Gesamtstrafe ist. Für die Neufestsetzung der Strafe oder der Gesamtstrafe ist nach derzeit wohl h.M. das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.
In der Sache geht es nicht um Zweifel über die Berechnung einer bereits "erkannten Strafe" (§ 458 Abs. 1 StPO) oder um Gesichtspunkte, die dem Strafvollstreckungsverfahren zugeordnet werden können, sondern um eine Rechtskraftdurchbrechung und Neufestsetzung der originären Strafe und damit um eine dem Tatgericht zuzuordnende Strafzumessungsentscheidung, die der Vollstreckung vorgelagert ist. Der Akt der Strafzumessung ist typischerweise Teil des Erkenntnisverfahrens und dem erkennenden Gericht und nicht etwa der Strafvollstreckungskammer zugewiesen.
b) Verteidigervergütung
Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass die Tätigkeit des Verteidigers bei der Neufestsetzung der Strafe bzw. einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 3, 4 EGStGB keine Gebühren in der Strafvollstreckung nach Teil 4 Abschnitt 2 VV auslöst (Nrn. 4200 ff. VV), sondern als Teil des Erkenntnisverfahrens Teil 4 Abschnitt 1 VV (Nrn. 4100 ff. VV) unterfällt. Für die einzelnen Gebühren gilt daher Folgendes:
• |
Eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV entsteht nicht erneut, weil unverändert derselbe Rechtsfall vorliegt. Der Rechtsfall ist der strafrechtliche Vorwurf, der dem Verurteilten gemacht wird. |
• |
Eine Verfahrensgebühr nach Nrn. 4106, 4112, 4118 VV kann nur dann erneut entstehen, wenn das Verfahren auf Neufestsetzung der Strafe bzw. einer Gesamtstrafe eine neue gebührenrechtliche Angelegenheit bildet. Das ist nur dann der Fall, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist, § 15 Abs. 5 S. 2 RVG. Auch eine weitere Postentgeltpauschale nach Nrn. 7001, 7002 VV kann nur unter dieser Voraussetzung anfallen. |
• |
Nimmt der Verteidiger im Rahmen der Neufestsetzung an einem der in Nr. 4102 VV genannten Termine teil, löst die Teilnahme eine allgemeine Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV aus. Allerdings muss es sich um einen der dort explizit genannten Termine handeln, eine analoge Anwendung auf andere Termine ist nicht möglich. Entsteht deshalb keine Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV, muss die Verteidigertätigkeit gem. § 14 Abs. 1 RVG bei der Bemessung der Verfahrensgebühr berücksichtigt werden. Ein Hauptverhandlungstermin (§ 243 StPO), der die Terminsgebühr nach Nrn. 4108, 4114 oder 4118 VV auslösen könnte, findet bei der Neufestsetzung der Strafe oder der Gesamtstrafe nicht statt. |
• |
Zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV bei Einziehung s. nachfolgend unter II. 2. |
Hinweis
Auch das Verfahren zur nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei dem eine Gesamtstrafe neu festzusetzen ist, ist gem. § 462a Abs. 3 S. 1 StPO dem erkennenden Gericht des ersten Rechtszugs zugewiesen, was angesichts der hierfür erforderlichen Strafzumessungsentscheidung auf der Hand liegt und zweckmäßig ist. In der vorhandenen Rspr. ist allerdings umstritten, ob die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO als Strafvollstreckungssache anzusehen ist, mit der Folge, dass eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4204 VV anfällt. Das LG Bonn geht davon aus, dass die Gebühr Nr. 4204 VV hier nicht entstehen kann, es sich bei dem Verfahren nach § 460 StPO um kein Verfahren in der Strafvollstreckung, sondern um Strafzumessung handelt. Wird mit den Argumenten der Gegenauffassung auch die Neufestsetzung einer Strafe oder Gesamtstrafe gem. Art. 316p, 313 Abs. 3, 4 EGStGB der Strafvollstreckung zugerechnet, entsteht die Verfahrensgebühr Nrn. 4104 f. VV.