§ 91 Abs. 1 ZPO
Leitsatz
- Die Beurteilung der Frage, ob die Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind, richtet sich daran aus, ob eine verständig und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei ist für die Beurteilung der Notwendigkeit auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die kostenauslösende Maßnahme veranlasst wurde.
- Die Einholung eines Privatgutachtens während des Rechtsstreits ist dann notwendig in diesem Sinne, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse ohne die Einholung des privaten Gutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war. Dabei ist es nicht erforderlich, dass das schriftlich zur Gerichtsakte eingereichte Privatgutachten auch Eingang in das Urteil gefunden oder die Überzeugungsbildung des Gerichts beeinflusst hat.
- Diese Grundsätze gelten auch für eine größere Versicherungsgesellschaft (hier: Unfallversicherung), bei der nicht erwartet werden kann, dass sie eigene Sachkunde auf dem Gebiet der Augenheilkunde hat.
- Ob die Privatgutachtenkosten der Höhe nach notwendig sind, beurteilt sich nicht nach der von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen angesetzten Stundenzahl. Ebenso wenig ist der Privatgutachter an die für gerichtlich bestellte Sachverständige geltenden Sätze des JVEG gebunden. Lediglich wenn die Stundensätze des Privatgutachters ganz erheblich von den im JVEG geregelten Sätzen abweichen, bedarf es einer besonderen Darlegung ihrer Notwendigkeit.
OLG Köln, Beschl. v. 2.4.2024 – 17 W 42/24
I. Sachverhalt
Mit seiner im Februar 2016 beim LG Köln eingereichten Klageschrift hatte der Kläger gegen die beklagte Unfallversicherung Ansprüche auf Ersatz eines Unfallschadens wegen der Schädigung seines Sehnervs geltend gemacht. Das von dem LG Köln in dem Rechtsstreit eingeholte Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen lag im Mai 2018 vor. In Juni 2018 reichte die Beklagte schriftliche Stellungnahmen des von ihr beauftragten Privatgutachters Dr. B zu den Gerichtsakten ein. Dr. B nahm dabei auch zu dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten Stellung. Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das LG Köln hat die Kosten quotenmäßig verteilt.
Im Kostenausgleichungsverfahren hat die Beklagte die Kosten des Privatgutachters Dr. B i.H.v. 2.231,50 EUR geltend gemacht. Der Rechtspfleger des LG Köln hat diese Kosten antragsgemäß berücksichtigt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hatte beim OLG Köln keinen Erfolg.
II. Erstattungsfähigkeit der Privatgutachtenkosten
1. Notwendigkeit
Nach Auffassung des OLG Köln waren die Kosten für den von der Beklagten privat beauftragten Sachverständigen Dr. B notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 ZPO (richtig: Abs. 1 S. 2). Diese Notwendigkeit beurteile sich nämlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich habe ansehen dürfen. Bei der Einholung von Privatgutachtenkosten gelte dies insbesondere dann, wenn die betreffende Partei infolge fehlender Sachkunde ohne die Einholung des Privatgutachtens zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage gewesen wäre. Ein solcher Fall liege auch dann vor, wenn die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht habe erschüttern können (s. BGH RVGreport 2012, 229 [Hansens] = zfs 2012, 285 m. Anm. Hansens).
Diese Voraussetzungen haben hier nach Auffassung des OLG Köln vorgelegen. In dem Rechtsstreit ging es um medizinisch durchaus anspruchsvolle Fragestellungen im Zusammenhang mit der Schädigung des Sehnervs des Klägers, die einer augenärztlichen Bewertung bedurften. Auch von einem größeren Versicherungsunternehmen könne – so fährt das OLG fort – nicht erwartet werden, dass insofern interne Sachkunde vorgehalten werde. Das OLG Köln hat darauf hingewiesen, dass auch bei der vorgenannten Entscheidung des BGH ein Versicherungskonzern auf Beklagtenseite beteiligt gewesen war.
2. Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung nicht erforderlich
Die von dem Privatgutachter erstellte schriftliche Stellungnahme hatte die beklagte Versicherungsgesellschaft zu den Gerichtsakten gereicht. Dabei hatte der Privatgutachter Dr. B zum gerichtlich eingeholten Gutachten Stellung genommen. Nach Auffassung des OLG Köln ist es für die Erstattungsfähigkeit nicht erforderlich, dass das Gutachten auch Eingang in das Urteil gefunden hat oder die Überzeugungsbildung des Gerichts i.S.d. Beklagten beeinflusst hat.
3. Prozessbezogenheit
Nach den weiteren Feststellungen des OLG Köln war die Beauftragung des Sachverständigen Dr. B durch die Beklagte auch prozessbezogen. Die Beklagte habe nämlich die Stellungnahmen des Privatgutachters über zwei Jahre nach Klageerhebung und einen Monat nach Vorliegen des ihr nachteiligen Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen vorgelegt.
III. Höhe der Privatgutachtenkosten
Auch die Höhe der von der Beklagten geltend gemachten Privatgutachtenkosten war nach Auffassung des OLG Köln nicht zu beanstanden.
1. Angesetzte Stundenzahl
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