§§ 464 Abs. 3 S. 3, 473 Abs. 4 StPO
Leitsatz
- Der Strafsenat bleibt für die Entscheidung über die Kostenbeschwerde auch nach Abschluss des Revisionsverfahrens jedenfalls dann zuständig, wenn er die Kostenbeschwerde bei der Revisionsentscheidung übersehen hat und der Angeklagte die Anhörungsrüge gem. § 33a S. 1 StPO innerhalb der Frist des § 356a S. 2 StPO erhoben hat.
- Der Angeklagte hat nicht die vollen im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten und notwendigen Auslagen zu tragen, wenn das Berufungsgericht unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Angeklagten den erstinstanzlichen Schuldspruch von Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen auf fahrlässigen Vollrausch geändert und die erstinstanzlich verhängte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35,00 EUR auf 60 Tagessätze zu je 40,00 EUR ermäßigt sowie eine Ratenzahlung bewilligt hat.
- Im Rahmen des § 473 Abs. 4 StPO, einer Regelung mit Ausnahmecharakter, ist nicht allein entscheidend, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie entsprechend der neuen Entscheidung gelautet hätte, sondern wesentlich auch das Maß des erreichten Teilerfolges.
BayObLG, Beschl. v. 3.7.2024 – 204 StRR 201/24
I. Sachverhalt
Das AG hat den Angeklagten mit Urt. v. 11.7.2023 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35,00 EUR verurteilt. Das LG hat mit Urt. v. 11.10.2023 auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des AG insoweit abgeändert, als der Angeklagte wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,00 EUR – unter Bewilligung einer Ratenzahlung – verurteilt wurde. Die weitergehenden Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat es als unbegründet verworfen. In Ziffer 4 des Tenors hat das LG entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen habe. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.
Am 11.10.2023 haben der Angeklagte und sein Verteidiger gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils sofortige Beschwerde und gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Der Verteidiger hat mit Schreiben vom 17.10.2023 die Revision und mit Schreiben vom 2.1.2024 die Kostenbeschwerde begründet. Mit Beschl. v. 6.5.2024 hat das BayObLG gem. Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 12.5.2024 rügt der Angeklagte eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, weil sich der Senat in seinem Beschl. v. 6.5.2024 nicht mit der gegen die Kostenentscheidung des LG eingelegten sofortigen Beschwerde auseinandergesetzt habe. Die Anhörungsrüge hatte beim BayObLG Erfolg, die Kostenbeschwerde des Angeklagten war nur teilweise erfolgreich.
II. Anhörungsrüge
Auf die zulässig erhobene Anhörungsrüge des Angeklagten sei das Verfahren in den Stand vor der Entscheidung des Senats vom 6.5.2024 zurückzuversetzen (§ 33a 1 StPO), soweit dies die vom Angeklagten erhobene sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des LG betreffe, da der Senat versehentlich nicht über diese entschieden habe.
III. Kostenbeschwerde
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die im Urteil des LG enthaltene Kostenentscheidung hatte in der Sache (nur) teilweise Erfolg.
1. Zuständigkeit
Da der Angeklagte neben der Revision gegen seine Verurteilung gleichzeitig sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung eingelegt habe, sei der Senat zur Entscheidung über beide Rechtsmittel berufen gewesen (§ 464 Abs. 3 S. 3 StPO). Grds. entfalle zwar die Zuständigkeit des Revisionsgerichts mit Abschluss des Revisionsverfahrens. Ob dies auch dann gelte, wenn – wie hier – übersehen worden sei, über die Beschwerde mitzuentscheiden (so etwa BGH, Beschl. v. 25.10.1977 – 5 StR 154/77 – bei Holtz, MDR 1978, 282; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl., 2023, § 464 Rn 13 m.w.N.; Schmidt/Zimmermann, in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl., 2023, § 464 Rn 25), oder ob weiterhin eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts zur Nachholung der übersehenen Beschwerdeentscheidung bestehe (so etwa – jedoch zu § 464 Abs. 3 S. 3 StPO nicht tragend – BGH, Beschl. v. 7.5.1986 – 3 StR 209/85, NStZ 1986, 423; Hilger, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., 2010, § 464 Rn 67; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., 2024, § 464 Rn 25a m.w.N.; wohl auch BeckOK StPO/Niesler, 51. Ed., Stand: 1.4.2024, § 464 Rn 18), kann aber dahinstehen. Denn die zulässig gem. § 33a S. 1 StPO erhobene Aufklärungsrüge führe zur Zurückversetzung des Verfahrens über die Kostenbeschwerde in die Lage vor Entscheidung über die Revision, jedenfalls soweit sie – wie hier – innerhalb der Frist des § 356a S. 2 StPO erhoben wurde. Dies stehe im Einklang mit dem durch die Konzentration der ...