RVG VV Nr. 4304; StPO § 408b
Leitsatz
Die Tätigkeit des nach § 408b StPO beigeordneten Verteidigers ist nicht als bloße Einzeltätigkeit nach Nr. 4303 Nr. 3 VV zu werten.
OLG Köln, Beschl. v. 11.9.2009–2 Ws 386/09
1 Sachverhalt
Der anwaltlich nicht vertretene Angeklagte ist in einem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren wegen Betruges zum Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen. Nachdem die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls beantragt hatte, ist dem Angeklagten Rechtsanwalt G. gem. § 408b StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Sodann ist durch Strafbefehl gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten festgesetzt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Der Pflichtverteidiger hat die Akten eingesehen und gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. Nachdem der Angeklagte sich auf die erbetene Rücksprache nicht gemeldet hatte, hat er den Einspruch zurückgenommen.
Daraufhin hat der Pflichtverteidiger eine Kostenrechnung über 447,44 EUR erstellt, die eine Grundgebühr, eine Verfahrensgebühr und eine Gebühr nach Nr. 4141 VV beinhaltet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat nur die Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 Nr. 3 VV zuerkannt. Dagegen hat der Verteidiger Erinnerung eingelegt, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat. Das AG hat die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Verteidigers hat das LG unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die dem Pflichtverteidiger zu zahlende Vergütung auf 314,16 EUR festgesetzt. Darin sind berücksichtigt:
Grundgebühr gem. Nr. 4100 VV |
132,00 EUR |
Verfahrensgebühr gem. Nr. 4106 VV |
112,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
264,00 EUR |
Umsatzsteuer |
50,16 EUR |
Endsumme |
314,16 EUR |
Zugleich hat die Strafkammer die weitere Beschwerde zugelassen, die jedoch keinen Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
Die Strafkammer hat zu Recht die Tätigkeit des nach § 408b StPO beigeordneten Verteidigers nicht als Einzeltätigkeit gewertet.
1. Allerdings ist hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Beiordnung nach § 408b StPO davon auszugehen, dass diese nicht mit der Einlegung des Einspruchs endet, sondern auch für das weitere Hauptverfahren gilt. Es werden insoweit verschiedene Ansichten vertreten.
Nach einer Entscheidung des AG Höxter (StV 1995, 519) soll die Bestellung des Pflichtverteidigers bis zur Entscheidung über den Erlass oder Nichterlass des beantragten Strafbefehls befristet werden.
Nach einer weitergehenden Ansicht gilt die Bestellung des Pflichtverteidigers nicht für das weitere Verfahren nach Einspruch gegen den Strafbefehl (OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; AG Höxter StV 1995, 519; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 408b Rn 6 m. w. Nachw.; Metzger, in: KMR, § 408b StPO Rn 10; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 408b Rn 4; Hohendorf, MDR 1993, 598; Lutz, NStZ 1998, 395).
Nach einer dritten Ansicht wirkt die Verteidigerbestellung über den Zeitpunkt des Einspruchs hinaus (Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 408b Rn 12, Fischer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 408b Rn 8; Loos, in: Alternativ Kommentare, 1996, § 408b Rn 4; Böttger, in: Anwaltskommentar, StPO, § 408b Rn 9; Weßlau, in: Systematischer Kommentar zur StPO und zum GVG, § 408b Rn 10; Kurth, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 408b Rn 6; Brackert/Staechelin, StV 1995, 547; Böttcher/Mayer, NStZ 1993, 153, 156; Schellenberg, NStZ 1994, 570; Sigismund/Wickern, wistra 1993, 91), wobei wiederum unterschiedlich beurteilt wird, ob die Beiordnung nur die Hauptverhandlung nach Einspruch umfasst (Kurth a.a.O.), mit der Einlegung des Rechtsmittels gegen die auf den Einspruch ergangene Entscheidung endet (so Gössel a.a.O.) oder auch noch das anschließende Rechtsmittelverfahren umfasst (so Fischer a.a.O.; Böttger a.a.O., Weßlau a.a.O.).
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Pflichtverteidigerbestellung jedenfalls die Vertretung des Angeklagten in einer nach Einspruch gegen den Strafbefehl folgenden Hauptverhandlung noch umfasst.
Das Gesetz nimmt – anders als etwa in § 117 Abs. 4 S. 1 StPO "für die Dauer der Untersuchungshaft", § 118a Abs. 2 S. 3 StPO "für die mündliche Verhandlung" im Haftprüfungsverfahren, § 350 StPO "für die Hauptverhandlung" in der Revisionsinstanz, § 418 Abs. 4 StPO "für das beschleunigte Verfahren"– in § 408b StPO nicht ausdrücklich eine Beschränkung der Reichweite der Verteidigerbestellung vor.
Das Argument, im Falle einer Fortgeltung der Pflichtverteidigerbestellung über den Zeitpunkt des Einspruchs hinaus sei der Angeklagte, gegen den zunächst ein Strafbefehl erlassen worden sei, besser gestellt als derjenige, gegen den sofort eine Hauptverhandlung anberaumt werde und dem nur unter den Voraussetzungen des § 140 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werde, berücksichtigt nicht, dass in der auf einen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung anders als ohne Zwischenschaltung des Strafbefehls über § 411 Abs. 2 S. 2 StPO der für das beschleunigte Verfahren geltende § 42...