RVG § 15a; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4; ZPO § 91
Leitsatz
Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung von § 15a Abs. 1 RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl I S. 2449) die bereits unter Geltung des § 118 BRAGO und nachfolgend unter Vorbem. 3 Abs. 4 RVG VV bestehende Gesetzeslage klargestellt. Die Anrechnungsvorschrift wirkt sich danach grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist.
BGH, Beschl. v. 2.9 2009 – II ZB 35/07
1 Sachverhalt
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss v. 2.8.2007 hatte die Rechtspflegerin des LG die von den (vollumfänglich) unterlegenen Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 3.073,84 EUR festgesetzt. In diesem Betrag ist u.a. die von der Klägerin für ihren Bevollmächtigten geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV in voller Höhe berücksichtigt. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Begründung, wegen der vorgerichtlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin und der dadurch entstandenen 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV sei im Hinblick auf die Anrechnungsregelung in Vorbem. 3 Abs. 4 VV die Verfahrensgebühr nur in Höhe von 0,55 entstanden und nur in dieser Höhe festsetzbar.
Das OLG hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen, die erfolglos geblieben ist.
2 Aus den Gründen
Die Rechtspflegerin hat zu Recht die von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 3.073,84 EUR festgesetzt und dabei die Verfahrensgebühr des Bevollmächtigten der Klägerin in der geltend gemachten Höhe von 1,3 Gebühren trotz der unstreitig entfalteten außergerichtlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten berücksichtigt.
1. Die Beklagten stützen – vor allem im Rechtsbeschwerdeverfahren – ihre Ansicht auf die neuere Rspr. einiger Senate des BGH. Der VIII. Zivilsenat des BGH hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Beschl. v. 22.1.2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 ff. = AGS 2008, 158) – abweichend von der bis dahin feststehenden höchstrichterlichen Rspr. (Beschl. v. 20.10.2005 – I ZB 21/05, NJW-RR 2006, 501 = AGS 2006, 146; v. 27.4.2006 – VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560 = AGS 2006, 357, u. v. 30.1.2007 – X ZB 7/06, NJW 2007, 3289 [= AGS 2007, 231]) und ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen – entschieden, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Verfahrensgebühr nur in Höhe von 0,55 festgesetzt werden könne, da sie im Hinblick auf die vorgerichtliche Tätigkeit des Bevollmächtigten und die Anrechnungsregelung in Vorbem. 3 Abs. 4 VV überhaupt nur in dieser Höhe "entstehe". Dem haben sich mehrere Senate des BGH ohne eigene Begründung angeschlossen.
Diese Rspr. ist im Schrifttum ganz überwiegend und zum Teil auch in der instanzgerichtlichen Rspr. auf – teilweise heftige – Kritik gestoßen (s. nur Schons, AnwBl 2008, 356; Hansens, RVGreport 2008, 121; Junglas, NJOZ 2008, 2707; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., Nr. 3100 Rn 217; Bericht der Gebührenreferenten der RAK, RVGreport 2008, 210; KG JurBüro 2008, 304; AnwBl 2009, 236). Selbst der Petitionsausschuss des Bundestages hat den Gesetzgeber aufgefordert, tätig zu werden.
2. Den erkennenden Senat überzeugt die Ansicht des VIII. Zivilsenats nicht. Ohne die gegen diese Lösung des Anrechnungsproblems anzuführenden systematischen, teleologischen und sprachlichen Argumente im Einzelnen darzustellen, vermag der Senat ihr nicht zuletzt im Hinblick auf die teilweise zu Recht als katastrophal bezeichneten Folgen, aber auch, weil er sie aus den gesetzlichen Bestimmungen nicht abzuleiten vermag, nicht zu folgen.
Statt im Hinblick auf seine abweichende Meinung den Großen Senat für Zivilsachen anzurufen, hat der Senat die Bearbeitung des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens zurückgestellt, nachdem der Gesetzgeber die vom VIII. Zivilsenat begründete Rspr. zum Anlass für eine klarstellende Änderung des RVG genommen hat. Das Gesetzgebungsverfahren hat am 4.8.2009 durch Verkündung des § 15a RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften) im Bundesgesetzblatt (BGBl I S. 2449) sein Ende gefunden. § 15a RVG ist gem. Art. 10 S. 2 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung (5.8.2009) in Kraft getreten.
Mit dem neu eingefügten § 15a RVG hat der Gesetzgeber das RVG nicht geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits vor Einfügung von § 15a RVG bestehende Gesetzeslage in dem Sinne, wie auch der erkennende Senat sie verstanden ...