RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4; Nrn. 2300, 3100
Leitsatz
Von einer Erfüllung i.S.d. § 15a Abs. 2, 1. Var. RVG ist auszugehen, wenn die Parteien in einem Prozessvergleich unmissverständlich geregelt haben, dass die betragsmäßig festgelegte Geschäftsgebühr vom Vergleich umfasst und abgegolten ist. Zu ihrer Bezifferung genügt die Bezugnahme auf den entsprechenden Klagantrag.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.7.2010–8 W 317/10
Sachverhalt
Im Hauptsacheverfahren hatten die Parteien einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen, in dem sie unter Nr. 5 vereinbarten: "Die Parteien sind sich darüber einig, dass die mit der Widerklage 2009 unter Nr. 3 geltend gemachten außergerichtlichen Geschäftsgebühren der Beklagten von dem vorliegenden Vergleich umfasst und abgegolten sind."
Im Übrigen einigten sich die Parteien auf eine Kostenquote zulasten der Klägerin und der Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner von 40 % und der Beklagten von 60 %.
Mit Nr. 3 der Widerklage hatte die Beklagte von der Klägerin und der Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner die Zahlung von 1.329,94 EUR nebst Zinsen für die vorgerichtliche Vertretung der Beklagten durch ihre Prozessbevollmächtigten verlangt. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus einer 1,6-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV von 1.097,60 EUR (bei einem Gegenstandswert von 22.011,12 EUR), aus der Auslagenpauschale von 20,00 EUR und der Umsatzsteuer von 212,34 EUR.
Nachdem zunächst eine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nicht vorgenommen wurde, erfolgte im Wege der Abhilfe unter Aufhebung der ursprünglichen Kostenfestsetzung eine erneute unter Berücksichtigung der Anrechnung einer 0,75-Geschäftsgebühr auf die von der Beklagten geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV.
Dagegen hat die Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt.
Aus den Gründen
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 11 Abs. 1 RpflG, §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff. ZPO zulässig, hat aber in der Sache im Wesentlichen keinen Erfolg.
Anders als in dem vom Senat am 18.3.2010–8 W 132/10 [= AGS 2010, 212] entschiedenen Fall geht es hier im Rahmen der Problematik einer Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV nicht darum, ob eine Titulierung der Geschäftsgebühr vorliegt, sondern ob von deren Erfüllung ausgegangen werden kann (§ 15a Abs. 2 RVG).
Der zwischen den Parteien geschlossene Vergleich beinhaltet keinen Vollstreckungstitel in Bezug auf die vorgerichtliche Geschäftsgebühr. Denn eine Zahlungspflicht der Klägerin und der Drittwiderbeklagten enthält dieser nicht. Eine Vollstreckung aufgrund des Vergleichs wäre insoweit nicht möglich.
Ein Dritter – hier die Klägerin und die Drittwiderbeklagte – können sich jedoch auf die Anrechnung gem. § 15a Abs. 2 RVG auch dann berufen, soweit er (sie) den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat (haben).
Der Vergleich der Parteien regelt ausdrücklich die mit der Widerklage vom 5.11.2009 unter Nr. 3 geltend gemachten außergerichtlichen Geschäftsgebühren der Beklagten dahin, dass diese vom Vergleich umfasst und abgegolten sind.
Hierbei handelt es sich nicht um eine allgemeine Erledigungsklausel, der nicht zu entnehmen wäre, ob von einer Erfüllung des Anspruchs oder von einem Verzicht auf ihn auszugehen ist, sondern um eine Vereinbarung der Parteien dergestalt, dass die Erfüllung des Anspruchs zwischen ihnen zugrunde gelegt wird.
Denn die Synonyme für das Wort "abgelten" sind: abbezahlen, ableisten, abzahlen, auszahlen, begleichen, bezahlen, entschädigen, ersetzen, erstatten, vergüten, bezahlen, zurückbezahlen, zurückzahlen (Duden – Das Synonymwörterbuch).
Die Parteien haben das Wort "abgelten" im Rahmen der Vergleichsformulierung gewählt und dieses beinhaltet entsprechend den vorstehend aufgezählten Synonymen die Erfüllung des Anspruchs.
Zumindest ist die Vereinbarung als eine solche i.S.d. § 364 Abs. 1 BGB rechtlich zu qualifizieren (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 364 Rn 1–3). Welchen Gegenstand die Leistung an Erfüllungs statt hat, ist im Kostenfestsetzungsverfahren als reinem Höheverfahren nicht zu prüfen, da der Wortlaut des Vergleichs unzweifelhaft von der Abgeltung und damit der Erfüllung des Anspruchs ausgeht.
Demzufolge hat eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach § 15a RVG in Verbindung mit Vorbem. 3 Abs. 4 VV zu erfolgen.
Allerdings ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit niedriger war als der der vorgerichtlichen (gerichtlich: 12.920,26 EUR; vorgerichtlich: 22.011,12 EUR), so dass sich die in Anrechnung zu bringende 0,75-Geschäftsgebühr von 514,50 EUR auf 394,50 EUR reduziert (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl. 2010, Vorbem. 3 VV Rn 205).