Die Anfechtung eines Prozessvergleichs führt zu einer in verfahrens- und gebührenrechtlicher Hinsicht besonderen Situation: In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird durch die Anfechtung kein neuer Rechtsstreit anhängig gemacht, sondern das alte, eigentlich bereits abgeschlossene Verfahren fortgeführt, damit das Gericht prüfen kann, ob der damals geschlossene Vergleich den Rechtsstreit wirksam beendet hatte. Da die Anfechtung kein Rechtsmittel i.S.d. ZPO ist, gibt es weder Fristen noch besondere Formerfordernisse für das Anfechtungsverfahren. Es muss lediglich geltend gemacht werden, dass der ursprünglich geschlossene Vergleich unter Mängeln gelitten hat (im vorliegenden Fall wurde von der Klägerin eine arglistige Täuschung behauptet) und dass er daher den Rechtsstreit nicht wirksam beenden konnte. Auch in gebührenrechtlicher Hinsicht handelt es sich um dieselbe Angelegenheit, da der Rechtsstreit in demselben Rechtszug verbleibt (vgl. § 15 Abs. 2 S. 2 RVG). Dies hat zur Folge, dass der Anwalt für seine Tätigkeit im Anfechtungsverfahren keine weiteren Gebühren in Rechnung stellen kann.

Der vorliegende Fall befasste sich nun mit der besonderen Konstellation, dass zwischen Abschluss des Prozessvergleichs und Aufnahme des Anfechtungsverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre lagen. Hier greift eigentlich § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ein, der dem Anwalt eine erneute Abrechnung der Gebühren gestattet, da – auch wenn es sich um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit handelt – schon aufgrund des Zeitablaufs eine erneute Einarbeitung in den Fall erforderlich ist. Daher sollen nach dem Willen des Gesetzgebers auch die entsprechenden Gebühren erneut verlangt werden können. Eine unmittelbare Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG hat der BGH im vorliegenden Fall allerdings ablehnt, da zwar mehr als zwei Jahre seit der Erledigung des Verfahrens durch Vergleich vergangen seien, der Anwalt aber keinen neuen Auftrag erhalten habe.

Der BGH verwechselt hier m.E. die Frage der Erledigung des Auftrags, von der in § 15 Abs. 5 S. 2 RVG die Rede ist und die Frage der Beendigung einer gebührenrechtlichen Angelegenheit. Ein Auftrag ist erledigt, wenn der Anwalt seinen Verpflichtungen aus dem Anwaltsvertrag vollständig nachgekommen ist. Dies war hier mit dem Abschluss des umfassenden Prozessvergleichs zwischen den Parteien der Fall – davon geht auch der BGH aus (vgl. Nr. 2a). Dagegen ist die gebührenrechtliche Angelegenheit noch nicht zwingend beendet, weil das Verfahren im Falle einer Anfechtung des Prozessvergleichs im selben Rechtszug weitergeführt werden würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man dem Anwalt in einem solchen Fall keinen weiteren Auftrag mehr erteilen müsste, damit er im Anfechtungsverfahren tätig wird. Wenn der Anwalt in einem Verfahren tätig wird und dieses Verfahren durch einen umfassenden Vergleich der Parteien zum Abschluss kommt, dann handelt es sich um eine Erledigung des Auftrags. Dieser ist damit beendet. Denn andernfalls würden die anwaltlichen Aufträge bei einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich quasi bis zum "Sankt Nimmerleinstag" fortdauern, da stets mit einer Anfechtung des Vergleichs (und damit mit einer Fortsetzung des Verfahrens in derselben Instanz) gerechnet werden muss.

Der BGH führt im letzten Absatz seiner Entscheidung selbst aus, dass der Anwalt nach einem Vergleichsschluss – anders als bei Aussetzen oder Ruhen des Verfahrens – nicht grundsätzlich mit einer Fortsetzung des Verfahrens rechnen muss, sondern die Angelegenheit daher ablegen darf. Dann ist es aber nur konsequent, bei Anfechtung eines solchen Vergleichs auch von einer neuen Auftragserteilung auszugehen. Gerade diesen Fall der weiteren Auftragsvergabe regelt § 15 Abs. 5 RVG: Der Anwalt wird nach Erledigung des Auftrags wiederum beauftragt, in derselben (gebührenrechtlichen) Angelegenheit weiter tätig zu werden. Mehrere Aufträge innerhalb derselben Angelegenheit führen nicht zu zusätzlichen Gebühren – es sei denn, zwischen den jeweiligen Tätigkeiten liegen mehr als zwei Kalenderjahre.

Der BGH kommt dann immerhin über eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG zum richtigen Ergebnis: Da die Sachlage den Fällen vergleichbar sei, in denen § 15 Abs. 5 S. 2 RVG direkt angewandt werde und der Gesetzgeber den Fall einer Vergleichsanfechtung nach mehr als zwei Jahren offenkundig nicht bedacht hätte, könne der Anwalt seine Gebühren für das Anfechtungsverfahren erneut abrechnen.

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