Dr. Julia Bettina Onderka
RVG § 15 Abs. 5 S. 2
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt kann in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG seine Vergütung erneut fordern, wenn ein Prozessvergleich mehr als zwei Kalenderjahre nach seinem Abschluss angefochten wird (Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 30.3.2006 – VII ZB 69/05 – AGS 2006, 323).
BGH, Beschl. v. 11.8.2010 – XII ZB 60/08
Sachverhalt
Der Beklagte wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen die Festsetzung von weiteren Termins- und Verfahrensgebühren für ein nach der Anfechtung eines Prozessvergleichs fortgesetztes Verfahren.
Die Parteien sind seit dem Jahre 1996 geschiedene Eheleute. Ein im März 1997 eingeleitetes Verfahren auf Zugewinnausgleich vor dem AG endete am 9.11.2000 durch Vergleich. Der Vergleichswert wurde auf 15.446.390 DM (= 7.897.613,80 EUR) festgesetzt.
Mit am 23.8.2005 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage focht der Beklagte den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an und beantragte die Fortsetzung des Verfahrens. Das AG stellte durch Urteil fest, dass der Vergleich wirksam sei und den Prozess beendet habe. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits legte es dem Beklagten auf.
Den Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin auf Festsetzung ihrer Kosten in Höhe von 73.108,30 EUR, hat das AG zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Klägerin änderte das OLG den Beschluss des AG ab und setzte die zu erstattenden Kosten in beantragter Höhe fest. Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung begehrt.
Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Das Beschwerdegericht vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall § 15 Abs. 5 S. 2 RVG analog Anwendung finde. Durch den Vergleich sei das Verfahren seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, daher seien durch die erneute Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten die Geschäfts- und Terminsgebühren erneut entstanden.
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
a) Zutreffend hat das Beschwerdegericht das RVG angewandt. Nach einhelliger Auffassung gilt zwar das Verfahren vor und nach Abschluss eines Prozessvergleichs und insbesondere der Streit um seine Wirksamkeit als eine einzige Angelegenheit (vgl. Hartmann, KostG, 40. Aufl., § 15 Rn 42 m.w.N.). Da das Verfahren vor dem 1.4.2004 eingeleitet wurde, gilt für das Gebührenrecht unabhängig von der Frage, wann der Vergleich geschlossen oder angefochten wurde, nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG an sich die BRAGO (Schneider, MDR 2005, 19). Da § 61 Abs. 1 S. 1 RVG jedoch zur Abgrenzung auf den Begriff der Angelegenheit in § 15 RVG verweist, gilt für das Übergangsrecht die Fiktion des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG. Geht man – mit der hier vertretenen Auffassung (vgl. unten sub c.)) – in analoger Anwendung dieser Vorschrift davon aus, dass es sich bei der nach mehr als zwei Jahren erfolgenden Fortsetzung eines Prozesses aufgrund Anfechtung eines Prozessvergleichs um eine "neue Angelegenheit" handelt, dann gelten für diese gem. § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die Vorschriften des RVG und damit auch § 15 RVG (AnwK-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., § 15 Rn 272; Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 3. Aufl., § 15 Rn 185 f.; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 60 Rn 12; grundsätzlich die Anwendbarkeit von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG bei einer neuen Angelegenheit bejahend, für den konkreten Fall der Unterbrechung durch Tod einer Partei allerdings ablehnend: FG Saarland AGS 2008, 290). Dabei ist der systematische Widerspruch hinzunehmen, dass bei der Frage der Anwendbarkeit des RVG zunächst von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 61 RVG ausgegangen und zugleich darüber entschieden wird, ob § 15 Abs. 5 S. 2 RVG überhaupt analog angewendet werden kann. Dies ist im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass die Frage der Anwendbarkeit des RVG nicht in einer externen Übergangsvorschrift im Rahmen des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, sondern im RVG selbst geregelt ist und das RVG zusätzlich noch zur Beantwortung dieser Frage auf seine eigenen Regelungen verweist, obwohl gerade deren Anwendbarkeit zu prüfen ist (vgl. zur Kritik an § 61 RVG AnwK-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., § 61 Rn 1; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 60 Rn 11 m.w.N.). Der gesetzgeberische Wille zielt jedoch darauf ab, zwischen der Anwendung der BRAGO und des RVG abzugrenzen, vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 203 f., Begründung zu § 61 RVG. Dazu kann es nach der – insofern allerdings nicht widerspruchsfreien – Gesetzessystematik erforderlich sein, Vorschriften bereits inhaltlich anzuwenden, um im Ergebnis die eigentlich vorrangige Frage ihrer grundsätzlichen Anwendbarkeit zu bejahen (a.A. LG Düsseldorf RVGreport 2005, 344, das von einem redaktionellen Versehen und einem Verweis auf § 13 Abs. 5 BRAGO ausgeht).
b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht eine direkte Anwendbarkeit von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG verneint. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG findet unmittelbar nur Anwendung, wenn einem Rechtsanwalt nach Erledigung eines früheren Auftrags ein weiterer Auftrag erteilt ...