ZPO § 3
Leitsatz
Der Streitwert der Klage eines Patienten gegen seinen Arzt auf Herausgabe von Kopien der Behandlungsunterlagen zur Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses bzw. der Prüfung der Erfolgsaussichten einer solchen Klage ist in der Regel mit einem Fünftel (20 %) des Streitwerts der in Aussicht genommenen Arzthaftungsklage zu bemessen.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.4.2010–5 W 620/10
Sachverhalt
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Einsicht in die sie betreffenden gesamten Krankenunterlagen über die plastisch-chirurgische ärztliche Brustbehandlung durch den Beklagten durch Übersendung von Fotokopien zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten, Zug um Zug gegen Erstattung der Kopierkosten, geltend. Sie meint, die vom Beklagten durchgeführte Behandlung sei fehlerhaft und unbrauchbar gewesen und habe bei ihr zu dauerhaften Schäden materieller und immaterieller Art geführt. Die Einsicht in die Krankenunterlagen werde benötigt, um einen medizinischen Sachverständigen mit der Prüfung der Fehlerhaftigkeit der Behandlung zu beauftragen und die Erfolgsaussichten einer Klage auf Schmerzensgeld, Erwerbs- und Haushaltsführungsschäden prüfen zu können.
Für die Bemessung des Streitwerts hat der Klägervertreter die beabsichtigten Klageanträge in einem künftigen Arzthaftungsprozess gegen den Beklagten mitgeteilt und im Einzelnen begründet. Er geht von einem künftigen Streitwert in Höhe von mindestens 159.155,75 EUR aus. Er ist der Auffassung, dass für die streitgegenständliche Klage auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen mindestens ein Viertel des Streitwerts der fiktiven Arzthaftungsklage anzusetzen sei.
Der Beklagte hat seine Verpflichtung zur Übersendung von Fotokopien der Behandlungsunterlagen weder vorgerichtlich noch in dem Rechtsstreit bestritten. Nachdem er im Termin nicht erschienen und auch nicht vertreten war, erließ das LG antragsgemäß Versäumnisurteil. Gleichzeitig setzte es den Streitwert auf 16.000,00 EUR, entsprechend einem Zehntel des Streitwertes des geplanten Arzthaftungsprozesses, fest.
Gegen diesen in ihrer Anwesenheit verkündeten Beschluss haben die Klägervertreter Beschwerde eingelegt. Sie sind der Auffassung, dass aufgrund der Bedeutung der Dokumentation des Beklagten als Hauptbeweismittel sowohl zur Frage der Aufklärung als auch der "lege artis-Behandlung der Streitwert für die vorliegende Klage auf Herausgabe von Kopien dieser Unterlagen mindestens einem Viertel des Streitwerts der fiktiven Arzthaftungsklage, also 39.788,93 EUR betrage."
Die Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hatte, war teilweise erfolgreich.
Aus den Gründen
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel insoweit als begründet als der Streitwert der vorliegenden Klage auf Herausgabe von Fotokopien der gesamten Krankenunterlagen nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls mit 31.831,15 EUR, also einem Fünftel des Streitwerts der Arzthaftungsklage, die dadurch vorbereitet werden soll, zu bemessen ist.
Die weitergehende Beschwerde der Klägervertreter ist unbegründet und wird zurückgewiesen.
Die streitgegenständliche Klage auf Herausgabe von Kopien der Behandlungsunterlagen dient der Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses bzw. der Prüfung der Erfolgsaussichten einer solchen Klage. In welchem Umfang der Beklagte die streitgegenständliche Behandlung dokumentiert hat, ist nicht bekannt. Sowohl das Vorhandensein, als auch das Fehlen entsprechender Unterlagen ist für die Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Klage wegen der behaupteten fehlerhaften Behandlung typischerweise von hoher Bedeutung. Die ärztliche Dokumentation hat für den Inhalt und den Nachweis der ärztlichen Aufklärung, und damit der Wirksamkeit der Einwilligung der Klägerin in die Behandlung genauso große Bedeutung wie für die Prüfung, ob die Behandlung entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wurde. Aus ihr ergeben sich häufig Streit entscheidende Weichenstellungen im Arzthaftungsprozess, etwa bei der Beweislast. Der ärztlichen Dokumentation kommt deshalb eine hohe Bedeutung für den Patienten zu, der sich fehlerhaft behandelt fühlt.
Auf der anderen Seite muss bei der Bewertung einer Klage auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen aber auch berücksichtigt werden, dass deren Besitz und Inhalt nicht unmittelbar einen Anspruch verkörpert, wie dies bei Inhaber- und weiteren Wertpapieren der Fall ist, sondern "nur" ein – wenn auch wichtiges – Beweismittel für die Prüfung und evtl. Durchsetzung eines Anspruchs darstellt. Ob und wenn ja in welchem Umfang die angekündigten Ansprüche letztlich tatsächlich erhoben werden, ist noch nicht sicher. Die unterlassene oder lückenhafte Dokumentation einer aus medizinischer Sicht zu dokumentierenden Maßnahme führt zu der Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist. Sie bildet aber keine eigenständige Anspruchsgrundlage (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., B, Rn 206 und 247).
Bei der Gesamtabwägung dieser Gesichtspunkte kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Patienten an der Herausgabe von Kopien der gesamten Behandlungsunte...