ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten beim Prozessgericht die Vertretung in der mündlichen Verhandlung wahrnimmt, richtet sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte (Fortführung von BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, AGS 2003, 97 – gegen OLG Hamburg AGS 2012, 202).
BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – VIII ZB 106/11
1 Sachverhalt
Der in Süddeutschland ansässige Kläger hatte die Beklagte auf Zahlung des Kaufpreises für einen Pkw in Anspruch genommen. Er hat seinen ortsansässigen Prozessbevollmächtigten mit der gerichtlichen Vertretung beauftragt. Das zunächst angerufene LG Ingolstadt hat den Rechtsstreit an das LG Hamburg verwiesen, welches zunächst einen Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung durchgeführt hat. Zeugen hatte es noch nicht geladen, obwohl beide Parteien entsprechende Beweise angetreten hatten. Mit der Terminswahrnehmung hatte der Kläger einen Rechtsanwalt aus Hamburg als Unterbevollmächtigten beauftragt.
Später schlossen die Parteien einen Vergleich, dessen Zustandekommen nach § 278 Abs. 6 ZPO beschlossen wurde. Nach dem Vergleich hatte die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu 5/7 und der Kläger zu 2/7 zu tragen.
Im anschließenden Kostenausgleichsverfahren hat der Kläger unter anderem die Kosten des Unterbevollmächtigten i.H.v. 930,82 EUR geltend gemacht. Die fiktiven Kosten für eine Anreise seines Prozessbevollmächtigten zu dem Termin hat er mit 629,05 EUR beziffert. Das LG hat im Rahmen der Kostenausgleichung nur die ersparten Reisekosten berücksichtigt. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht den Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert und die Kosten des Unterbevollmächtigten mit 110 % der ersparten Reisekosten (691,96 EUR) berücksichtigt (siehe AGS 2012, 202).
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde macht der Kläger weiter geltend, bei der Berechnung der zu erstattenden Kosten sei der volle Rechnungsbetrag des Unterbevollmächtigten i.H.v. 930,82 EUR anzusetzen.
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
1. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten, der – wie hier – für den am Wohnort oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalt Termine beim Prozessgericht wahrnimmt, richtet sich nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Nach der std. Rspr. des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, WM 2003, 1617 [= AGS 2003, 97]; v. 21.12.2011 – I ZB 47/09, NJW-RR 2012, 381; v. 9.9.2004 – I ZB 5/04, GRUR 2005, 84; v. 4.4.2006 – VI ZB 66/04, VersR 2006, 1089 Rn 4) stellen die Kosten eines Unterbevollmächtigten dann notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO dar, wenn durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären.
2. Für die Vergleichsberechnung zwischen den fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten und den durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten zur Terminsvertretung entstandenen Kosten ist – anders als das Beschwerdegericht meint – nicht auf eine Ex-post-Betrachtung abzustellen. Maßgeblich ist nach der Rspr. des BGH vielmehr (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02; v. 4.4.2006 – VI ZB 66/04), ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen.
Wenn die Partei prüft, ob sie einen Unterbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung hinzuzieht, liegt dies auch im Interesse der erstattungspflichtigen Gegenpartei; denn die Beauftragung des Unterbevollmächtigten kann, etwa bei einem geringen Streitwert und einer erheblichen Entfernung zwischen dem Kanzleisitz des Hauptbevollmächtigten und dem Prozessgericht oder wenn mehrere Termine wahrzunehmen sind, kostengünstiger sein als die Terminswahrnehmung durch den Hauptbevollmächtigten (Senatsbeschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02).
Bei der gebotenen Ex-ante-Beurteilung durfte der Kläger im Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten davon ausgehen, dass voraussichtlich mehrere Termine vor dem Prozessgericht in Hamburg wahrzunehmen sein würden. Das LG Hamburg hatte zunächst nur Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter ohne Ladung von Zeugen anberaumt, obgleich von beiden Parteien Zeugen zum Beweis ihrer – strittigen – Behauptungen benannt worden waren. Für die Anreise des Hauptprozessbevollmächtigten des Klägers zu zwei Terminen vor dem LG Hamburg wären höhere Kosten entstanden als durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigte...