RVG VV Nr. 2300; RVG § 17 Nr. 1; VwGO §§ 162 Abs. 2, 80 Abs. 5, 6

Leitsatz

Wird vor einem Antrag bei Gericht auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung zunächst ein Antrag bei der Behörde nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung gestellt, können die hierfür entstandenen Kosten nicht im nachfolgenden gerichtlichen Aussetzungsverfahren als Kosten des Vorverfahrens festgesetzt werden.

OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 2.2.2012 – 4 O 43/12

1 Aus den Gründen

Das VG hat es zu Recht abgelehnt, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären. Denn ein Vorverfahren i.S.v. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO hat nicht stattgefunden.

Vorverfahren i.S.d. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO ist nur das als Sachurteilsvoraussetzung anzusehende Widerspruchsverfahren, das vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erfolglos durchgeführt worden sein muss. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ergibt sich dies aus dem Wortlaut des § 162 Abs. 1 VwGO, seiner gesetzessystematischen Stellung sowie dem Sinn und Zweck dieser Regelung (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.5.2006 – 14 E 256/06; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.9.2000 – 2 S 2012/00; Beschl. v. 27.6.2006 – 11 S 2613/05, VBlBW 2006, 480). Die Kosten des Vorverfahrens sind als "Aufwendungen" zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in die Gesamtkosten des Verfahrens einbezogen. Es handelt sich hierbei um Kosten im Vorstadium und zur Vorbereitung des Klageverfahrens. Dazu zählen die Kosten nicht, die im Zusammenhang mit der Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 6 VwGO entstehen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.5.2006, a.a.O.). Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf die Kommentierung von Kopp/Schenke (VwGO, § 80 Rn 182) verweist, "Vorverfahren" nach § 80 Abs. 6 VwGO, folgt aus der Erläuterung zu der hier maßgeblichen Regelung des § 162 VwGO, dass das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 6 VwGO kein Vorverfahren i.S.d. § 162 VwGO ist.

Der Anwendungsbereich des § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO wird zwar teilweise auf sonstige förmliche Vorschaltverfahren erstreckt (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.5.1993 – 2 S 893/93, BBGZ 1993, 620; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 162 Rn 16). Es werden allerdings nur solche Verfahren in Betracht gezogen, die wie das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO eher der Überprüfung einer bereits in Form eines Verwaltungsaktes ergangenen behördlichen Entscheidung dienen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16.4.2010 – 4 O 43/10; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.6.2006, a.a.O.). Demgegenüber ist der Prüfungsumfang in einem Eilverfahren nach § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO ("ernstliche Zweifel") eingeschränkt.

Gegen eine erweiternde Auslegung des § 162 Abs. 2 VwGO spricht auch seine Entstehungsgeschichte (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.6.2006, a.a.O.). Im Gesetzgebungsverfahren war gegen die Einbeziehung einer Regelung der im Vorverfahren entstandenen Kosten der Einwand erhoben worden, das Vorverfahren sei ein Verwaltungs- und kein gerichtliches Verfahren. Dem hielt die Bundesregierung entgegen, das Vorverfahren sei Klagevoraussetzung und es gebe daher keinen sachlichen Grund, die Entscheidung über die Kostentragungs- und -erstattungspflicht vom Ausgang des gerichtlichen Verfahrens zu trennen (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.6.2006, a.a.O., m.w.Nachw. jeweils unter Hinweis auf BT-Drucks 3/55, 47 ff.).

Für eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO auf Fälle des behördlichen Aussetzungsverfahrens gem. § 80 Abs. 6 VwGO ist mangels einer Regelungslücke kein Raum (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.5.2006, a.a.O.). Vielmehr zeigt die dargelegte Diskussion im Gesetzgebungsverfahren zur Rechtfertigung der Erstattungsregelung betreffend die Vorverfahrenskosten in der VwGO, dass der Gesetzgeber bewusst eine eingeschränkte Regelung bezogen auf die nach Einleitung eines dem Gerichtsverfahren vorgeschalteten verwaltungsgerichtlichen Überprüfungsverfahrens entstandenen Kosten getroffen hat, da er eine solche Regelung im Hinblick auf die engen prozessrechtlichen Verknüpfungen für notwendig hielt (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.6.2006, a.a.O.). Der Gesetzgeber hat nur die Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO geregelt. Dieser Bestimmung lässt sich kein Anhalt dafür entnehmen, dass sie auf weitere, einem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Verfahrenstufen auszudehnen ist (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.5.2006 a.a.O.).

Mitgeteilt von Rechtsanwalt u. FAVerwR Dr. Hans-Peter Vierhaus, Berlin

2 Anmerkung

Ich halte die beiden vorstehenden Entscheidungen im Ergebnis für unzutreffend.

Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, dass es sich bei dem Vorverfahren zwingend um ein Widerspruchsverfahren handeln muss. Wenn das Gesetz ein anderes Vorverfahren vorsieht, muss die Vorschrift entsprechend anzuwenden sein.

So verhält es sich in Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung. Hier findet vorher ein Verfahren vor der Behörde statt. Je nach Verfahrensordnung...

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