RVG §§ 58, 59 BGB § 426
Leitsatz
- Wird von mehreren Streitgenossen nicht allen Streitgenossen Prozesskostenhilfe bewilligt, hat der beigeordnete Anwalt, der auch den/die anderen, nicht bedürftigen Streitgenossen vertritt, hinsichtlich der gegen die Staatskasse entstandenen Verfahrensgebühr nicht nur auf die Erhöhungsbeträge nach Nr. 1008 VV Anspruch, welche auf die bedürftigen Streitgenossen fallen.
- In gleicher Weise darf dem beigeordneten Anwalt nicht die Terminsgebühr mit der Begründung vorenthalten werden, er könne sich deswegen an dem nicht bedürftigen Streitgenossen schadlos halten.
- Gegebenenfalls kann die Staatskasse Regress beim nicht bedürftigen Streitgenossen nehmen. Für eine Vorabkürzung der Anwaltsvergütung besteht jedoch kein Raum.
Bayerisches LSG, Beschl. v. 31.7.2013 – L 15 SF 5/13 B
1 Sachverhalt
Der Beschwerdegegner vertrat die damaligen Kläger in einem Klageverfahren vor dem SG, das schließlich durch Klagerücknahme erledigt wurde. Die Klagepartei bestand aus zwei Streitgenossen, wobei der Beschwerdegegner nur einer Streitgenossin (im Folgenden: StrG 1) im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet wurde. Im Hinblick auf den zweiten Streitgenossen (im Folgenden: StrG 2) ist offenbar unklar, wie dessen Verhältnis zum Beschwerdegegner konkret ausgestaltet war, insbesondere, ob ein Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners gegen StrG 2 entstanden ist.
Die Urkundsbeamtin beim SG sprach dem Beschwerdegegner die Hälfte der beantragten Vergütung (darunter eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr) zu (262,40 EUR). Die Reduktion auf die Hälfte begründete sie sinngemäß damit, der Beschwerdegegner habe zwei Streitgenossen vertreten, wobei er aber nur StrG 1 beigeordnet worden war. Daher dürfe der Staatskasse nur die Hälfte der Gesamtkosten aufgebürdet werden.
Auf die Erinnerungen sowohl des Beschwerdegegners als auch der Staatskasse hat der Kostenrichter beim SG die Vergütung auf insgesamt 464,10 EUR festgesetzt, was dem Erinnerungsantrag des Beschwerdegegners entsprochen hat. Die Erinnerung der Staatskasse hat er in vollem Umfang zurückgewiesen.
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatskasse. Diese trägt zur Begründung vor, sie habe dem Beschwerdegegner nur den Erhöhungsbetrag nach Nr. 1008 VV zu leisten. Wegen aller anderen Vergütungskomponenten einschließlich der Terminsgebühr, so die Staatskasse sinngemäß, müsse sich der Beschwerdegegner an StrG 2 halten.
2 Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde der Staatskasse ist unbegründet. Der Kostenrichter hat zutreffend die zu zahlende Vergütung so festgesetzt, wie es der Beschwerdegegner beantragt hatte.
Der Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens umfasst die Verfahrens- und die Terminsgebühr dem Grund und der Höhe nach.
In der Begründung hat der Kostenrichter das aktuelle Meinungsspektrum zu der Problematik, welche Vergütung aus der Staatskasse dem Anwalt zusteht, wenn dieser nur einzelnen Personen aus einer Streitgenossenschaft beigeordnet ist, richtig dargestellt. Der Senat verzichtet angesichts dessen auf einen entsprechenden allgemeinen Abriss.
1. Der Senat stimmt dem Kostenrichter darin zu, dass die von der Staatskasse vertretene Ansicht, die mittelbar auf Rechtsprechung des BGH basiert (mittelbar, weil die BGH-Rspr. allein die PKH-Bewilligung durch das Prozessgericht betrifft) und von verschiedenen Instanzgerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit rezipiert wurde, abzulehnen ist. Der Kostenrichter hat im Wesentlichen argumentiert, der Vertrauensschutz der Partei könne verletzt sein, wenn die ursprünglich uneingeschränkte PKH-Bewilligung über das nachfolgende Verfahren nach §§ 55 RVG eine Einschränkung erfahren würde.
Damit hat der Kostenrichter zu Recht offen gelassen, ob die PKH-Bewilligung samt Beiordnung als solche von vornherein auf die Erhöhungsbeträge reduziert werden darf. In der Tat kommt es darauf nicht an. Der Vollständigkeit halber weist der Senat aber auf Bedenken hin: Im Beschl. v. 8.5.2013 – L 15 SF 104/12 B hat der Senat – wenn auch beiläufig – geäußert, auch für das Prozessgericht sei das PKH-Leistungsrecht nicht frei disponibel. Vielmehr, so der Senat, würden die "Leistungen" in § 122 ZPO und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Nach dem Gesetz sehe allein § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit individueller Anordnungen seitens des Gerichts vor. Für den vorliegenden Fall ist diese Norm aber nicht einschlägig. Denn hier geht es nicht um einen "Regress" für erbrachte Leistungen bei der Partei, wie ihn § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO meint, sondern um eine Modifikation der Leistungen an den beigeordneten Anwalt von vornherein. Anders als der BGH im Beschl. v. 1.3.1993 – II ZR 179/91 vermag sich der Senat nicht von einer insoweit bestehenden Gestaltungsfreiheit des Prozessgerichts zu überzeugen (so wie hier Wrobel-Sachs in: Büttner/dies./Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl. 2012, Rn 48 m.w.N.). Formt das Prozessgericht den Leistungsanspruch gleichwohl im Rahmen der PKH-Bewilligung um, so führt dies nicht zur Nichtigkeit...