Leitsatz

Die tatsächlichen Reisekosten eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen oder am Gerichtsort wohnhaften Rechtsanwalts sind bis zu der Höhe zu erstatten, die sich für einen im Bezirk des jeweiligen Prozessgerichts niedergelassenen oder wohnhaften Rechtsanwalt bei der weitesten Entfernung innerhalb des Bezirks errechnet.

OLG Schleswig, Beschl. v. 24.7.2015 – 9 W 26/15

1 Sachverhalt

Das LG Flensburg hatte die vom Kläger gegen die zu diesem Zeitpunkt in Niebüll wohnhafte Beklagte erhobene Klage weitgehend abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zu 94 % und der Beklagten zu 6 % auferlegt. Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss setzte der Rechtspfleger die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten fest. Dabei hat er auf Seiten der Beklagten die geltend gemachten Reisekosten ihres in Hamburg ansässigen Rechtsanwalts zu den beiden Gerichtsterminen vor dem LG Flensburg auf die fiktiven Reisekosten eines in Niebüll ansässigen Rechtsanwalts gekürzt. Dagegen hat die Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat.

Mit ihrer Beschwerde macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, dass sie den Beklagtenvertreter für die Prozessvertretung habe einschalten dürfen, da er bereits vorgerichtlich für sie tätig gewesen sei und sie zudem mit einer Klageerhebung im dortigen Bereich habe rechnen müssen. Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.

2 Aus den Gründen

a) Zu Recht ist der Rechtspfleger davon ausgegangen, dass die Beklagte unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten nicht berechtigt gewesen ist, für die Führung des Rechtsstreits vor dem LG Flensburg den in Hamburg ansässigen Beklagtenvertreter einzuschalten.

(1) Einer im Bezirk des Prozessgerichts wohnhaften Partei wird es nach ständiger höchstrichterlicher Rspr. zugemutet, einen im gleichen Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen (vgl. § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO). Das dahinterliegende Gebot der Kostenschonung tritt ausnahmsweise nur dann zurück, wenn die Partei ein besonders schützenswertes überwiegendes Interesses an einem auswärtigen, also einem nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen oder wohnhaften, Rechtsanwalt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 20.5.2008 – VIII ZB 92/07, NJW-RR 2009, 283, 284 Rn 6; Jaspersen/Wache, in: Beck´scher Online-Kommentar ZPO, Stand 1.3.2015, § 91 Rn 169).

(2) Derartige besondere Interessen der Beklagten sind nicht ersichtlich. Auch eine besondere Spezialisierung des Beklagtenvertreters, über die im Gerichtsbezirk des LG Flensburg ansässige Rechtsanwälte nicht verfügen und die für die Bearbeitung der Sache notwendig gewesen ist, ist nicht erkennbar. Der Umstand, dass die Beklagte den Beklagtenvertreter bereits vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens eingeschaltet hatte, kann ein solches besonders schützenswertes Interesse nicht begründen. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass bereits das erste außergerichtliche Aufforderungsschreiben v. 4.9.2007 an die Beklagte unter ihrer Niebüller Wohnanschrift gerichtet war, sodass die Beklagte ohne weiteres damit rechnen musste, dass die gerichtliche Geltendmachung in dem für sie zuständigen Bezirk des LG Flensburg erfolgen würde. Auch die dargelegten Umzugspläne der Beklagten, die sie ohnehin nicht realisiert hat, rechtfertigen keine andere Bewertung.

b) Allerdings sind die tatsächlichen Reisekosten des Beklagtenvertreters nicht auf die Entfernung zwischen dem Wohnort der Beklagten in Niebüll und dem LG Flensburg zu beschränken. Sie sind vielmehr in der Höhe zu erstatten, wie Reisekosten bei Beauftragung eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts maximal angefallen wären. Hierfür ist die höchstmögliche Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks anzusetzen.

(1) Die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei unterliegt nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 und 2 ZPO nur dann einer Notwendigkeitsprüfung, wenn der Rechtsanwalt weder am Gerichtsort wohnt, noch im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist. Nur für diese Rechtsanwälte gilt die Einschränkung der grundsätzlichen Erstattungspflicht nach § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 ZPO ("Auslagen des Rechtsanwalts … sind … zu erstatten") durch Hs. 2 ZPO ("Reisekosten eines Rechtsanwalts, der …"; so auch Schneider, NJW-Spezial 2011, 603). Seit der Streichung des früheren § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts v. 5.5.2004 (Art. 4 Abs. 20 Nr. 2, BGBl 2004 I, S. 718) entstehen der obsiegenden Partei – von Fällen des Rechtsmissbrauchs, die vor allem bei großen Gerichtsbezirken relevant werden können, abgesehen – kostenrechtlich keine Nachteile dadurch, dass sie einen am Ort des Prozessgerichts nicht ansässigen oder wohnhaften Rechtsanwalt wählt, solange dieser im Gerichtsbezirk niedergelassen oder wohnhaft ist (vgl. auch Jaspersen/Wache, Beck´scher Online-Kommentar ZPO, Stand 1.3.2015, § 91 Rn 168 f.; Schneider, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 91 Rn 5 m.w.N.; für eine Notwendigkeitsprüfung hingegen bei ni...

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