VG §§ 3 Abs. 1, 14 Abs. 1; RVG VV Nr. 3106
Leitsatz
Wartezeiten eines Rechtsanwalts vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung, die die in der Ladung mitgeteilte Uhrzeit um mehr als 15 Minuten überschreiten und die allein der Sphäre des Gerichts zuzurechnen sind, wirken sich bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit erhöhend aus (Anschluss an: Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 22.11.2016 – L 5 SF 91/15 B E).
SG Dresden, Beschl. v. 19.7.2017 – S 20 SF 4/17 E
1 Sachverhalt
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung des im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten Rechtsanwalts.
Das Gericht ordnete den Erinnerungsführer dem Kläger bei. Streitgegenstand des Verfahrens war die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 13.7.2016 lud die Kammer die Verfahrensbeteiligten zur mündlichen Verhandlung am 10.10.2016 um 11:15 Uhr. Die Verhandlung begann ausweislich der Sitzungsniederschrift um 12:03 Uhr und endete um 12:27 Uhr, nachdem der Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis erledigt worden war.
Mit Kostenerstattungsantrag hat der Erinnerungsführer die Festsetzung und Erstattung von 742,56 EUR beantragt und dabei folgende Rechnung aufgemacht:
Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV) |
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250,00 EUR |
Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) |
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380,00 EUR |
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV) |
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20,00 EUR |
Dokumentenpauschale für Kopien (Nr. 7002 VV) |
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9,00 EUR |
Anrechnung Beratungshilfe § 58 RVG |
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– 35,00 EUR |
Zwischensumme netto |
624,00 EUR |
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19 % Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV) |
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118,56 EUR |
Gesamtsumme |
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742,56 EUR |
Mit Festsetzungsbeschluss hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 493,85 EUR festgesetzt:
Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV) |
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250,00 EUR |
Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) |
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180,00 EUR |
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV) |
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20,00 EUR |
Anrechnung Beratungshilfe § 58 RVG |
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– 35,00 EUR |
Zwischensumme netto |
415,00 EUR |
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19 % Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV) |
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78,85 EUR |
Gesamtsumme |
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493,85 EUR |
Der Termin habe nur 64 % eines durchschnittlichen Termins gedauert, so dass für die Terminsgebühr ein entsprechender Anteil der Terminsmittelgebühr angemessen erscheine. Die Dokumentenpauschale könne nicht berücksichtigt werden, da die Dokumente vor der Beiordnung gefertigt worden seien.
Der Erinnerungsführer hat Erinnerung eingelegt und darauf hingewiesen, dass der Termin erst 48 min nach dem angesetzten Termin begonnen habe. Die Anmeldung der Terminsgebühr hat er auf 250,00 EUR reduziert.
Der Erinnerungsgegner hat unter Berufung auf die Rspr. des Sächsischen LSG die Auffassung vertreten, dass die anteilige Kürzung der Terminsgebühr zu Recht erfolgt sei, da Wartezeiten vor dem Termin bei der Bemessung der Gebührenhöhe nicht zu berücksichtigen seien.
2 Aus den Gründen
Die zulässige Erinnerung ist begründet.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen, wie hier, das GKG nicht anzuwenden ist, entstehen Beitragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 S. 1 RVG). Wird die Erstattung einer Rahmengebühr verlangt, so ist die vom Anwalt nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmte Gebühr die gesetzliche Gebühr. Das Gericht hat aber zu prüfen, ob die Bestimmung unbillig und deshalb nicht verbindlich ist, § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.
Die vom Erinnerungsführer nunmehr im Erinnerungsverfahren angesetzte Terminsgebühr ist nicht unbillig.
Bei der Bemessung der Terminsgebühr bestimmt der Rechtsanwalt innerhalb des einschlägigen Gebührenrahmens von 50,00 EUR bis 510,00 EUR die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 S. 1 RVG).
Für den Umfang der Sache ist vorrangig auf die Dauer des Termins abzustellen. Das Sächsische LSG stellt in ständiger Rspr. auf eine durchschnittliche Terminsdauer von 30 bis 45 Minuten ab (Sächsisches LSG, Beschl. v. 19.6.2013 – L 8 AS 45/12 B KO, Rn 21 [= AGS 2013, 395]).
Allerdings wirken sich Wartezeiten eines Rechtsanwalts vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung, die die in der Ladung mitgeteilte Uhrzeit um mehr als 15 Minuten überschreiten und die allein der Sphäre des Gerichts zuzurechnen sind, bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit aus (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 22.11.2016 – L 5 SF 91/15 B E, Rn 17 [= AGS 2017, 109]). Die Kammer schließt sich insofern der überzeugenden Argumentation des LSG Schleswig-Holsteinisches an, das in der zitierten Entscheidung u.a. ausführt:
"Liegt eine dem Rechtsanwalt nicht zurechenbare und maßgebliche Verzögerung des Verhandlungsbeginns vor, darf diese bei der Taxierung der Gebührenhöhe aber jedenfalls dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sich eine mündliche Verhandlung, ein Erörterungs- oder ein Beweisaufnahmetermin anschließt. Zwar handelt es sich bei der Wartezeit – auch ab der in der Ladung mitgeteilten Uhrzeit – noch nicht um einen Termin i.S.d. ...