1. Der Senat entscheidet gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG in der Besetzung mit drei Richtern, da auch die angefochtene Entscheidung des LG nicht durch den Einzelrichter, sondern die Kammer ergangen ist.

2. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie ist gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 1 RVG statthaft. Das OLG ist an die – hier auch zu Recht erfolgte – Zulassung der weiteren Beschwerde durch das LG gebunden, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 4, Abs. 4 S. 4 RVG. Die Beschwerde wurde auch innerhalb der Frist der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 4, Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt.

3. Die weitere Beschwerde ist auch begründet, da die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 2 RVG, 546 ZPO.

a) Die der Entscheidung des LG zugrundeliegende Beschwerde gegen den Beschluss des AG war statthaft, da der Beschwerdewert gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG erreicht und die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden war (§§ 56 Abs. 2 S. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG).

b) Das LG hat die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung der Erinnerung nach Erstreckung der Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung für die drei hinzuverbundenen Verfahren 15 Js 706115, 15 Js 798/15 u. 15 Js 783/15, nach der Rechtsauffassung des Senats zu Unrecht zurückgewiesen.

Inwieweit ein Pflichtverteidiger gegen die Staatskasse Gebühren geltend machen kann, die vor seiner Beiordnung entstanden sind, richtet sich nach § 48 Abs. 6 RVG. Dabei ist in der obergerichtlichen Rspr. umstritten, welche Gebühren zu erstatten sind, wenn eine Beiordnung erst erfolgt, nachdem mehrere Verfahren, in denen der Pflichtverteidiger bereits als Wahlverteidiger tätig war, i.S.d. § 4 StPO verbunden worden sind.

Während das OLG Rostock vertritt, dass in derartigen Fällen die bis zur Verbindung in den Einzelsachen entstandenen Wahlverteidigergebühren bestehen bleiben und der Verteidiger diese nicht nochmals als Pflichtverteidiger ersetzt verlangen kann (Beschl. v. 27.4.2009 – 1 Ws 8/09, juris, Rn 8), wird in der Lit. und Rspr. überwiegend vertreten, dass dem Rechtsanwalt über § 48 Abs. 6 S. 1 RVG Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse für alle vorher hinzuverbundenen Verfahren erwachsen, soweit er in diesen vor der Verbindung als Wahlverteidiger tätig geworden ist (OLG Bremen, Beschl. v. 7.8.2012 – Ws 137/11, Rn 14 m.w.N.; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., § 48 Rn 22 ff.; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, RVG, § 48 Rn 60 ff. m.w.N.; Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., § 48 Rn 126; OLG Hamm, Beschl. v. 6.6.2005, 2 (s) Sbd VIII – 110/05, juris [= AGS 2005, 437]).

Teilweise wird in der Rspr. zu § 48 Abs. 6 S. 3 RVG inzwischen wieder die Ansicht vertreten, dass auch in den Fällen, in denen erst die Verbindung und dann die Beiordnung erfolgt, eine ausdrückliche Erstreckung erfolgen muss, da die Vorschrift des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG für alle Verbindungen gelten soll. Dabei soll eine Erstreckung der Beiordnung auf die hinzuverbundenen Verfahren in der Regel dann ausgesprochen werden, wenn auch in dem hinzuverbundenem Verfahren als solchem bereits eine Verteidigerbestellung angestanden hätte (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 27.12.2010 – 1 Ws 583/10, juris, Rn 7; OLG Braunschweig, Beschl. v. 22.4.2014 – 1 Ws 48/14, Rn 31 [= AGS 2014, 402]).

Der Wortlaut und die Gesetzessystematik lassen beide Interpretationen zu. Einerseits enthält § 48 Abs. 6 S. 3 RVG keine Einschränkung auf nach der Beiordnung verbundene Verfahren, andererseits lässt sich der Formulierung des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG hinsichtlich der Vergütung für vor dem Zeitpunkt der Bestellung entfalteten Tätigkeiten keine Beschränkung auf das Ursprungsverfahren entnehmen. Danach kommen sowohl eine Auslegung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG als bloße Erweiterung einer bereits durch § 48 Abs. 6 S. 1 RVG bestimmten umfassenden Vergütung auf später hinzuverbundene Verfahren, als auch als Spezialregelung für hinzuverbundene Verfahren unabhängig vom Zeitpunkt der Verbindung in Betracht.

Gegen die letztgenannte inzwischen wieder vertretene Auffassung spricht, dass manchmal erst mehrere Jahre nach der Verbindung ggf. noch im Kostenfestsetzungsverfahren über Erstreckungen zu entscheiden ist und es vom Zufall abhängt, ob das Ursprungsverfahren gegenüber den hinzuverbundenen Verfahren dasjenige mit dem gewichtigsten Vorwurf ist (OLG Bremen a.a.O., Rn 15). Für die zuerst genannte Auffassung spricht hingegen, dass mit der Regelung des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG (vormals: § 48 Abs. 5 S. 1 RVG) nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs 15/1971, 201) die Regelung des § 93 Abs. 3 BRAGO übernommen werden sollte. Durch das RVG sollte Streit in der Frage, ob beigeordnet werden musste, gerade vermieden werden (Burhoff, a.a.O., Rn 24 f.; Gerold/Schmidt/Burhoff/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl., § 48 Rn 148).

Der Senat schließt sich der in der Rspr. und Lit. überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar Anwendung findet, wenn Verfahren zunächst verbunden werden und danach die ...

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