FamGKG § 19 Abs. 1; GKG § 20 Abs. 1; RVG §§ 33, 56
Leitsatz
Die Rückforderung einer überhöht festgesetzten und ausgezahlten Verfahrenskostenhilfevergütung ist gem. dem Vertrauensgrundsatz auf der Grundlage der Wertung des § 19 Abs. 1 FamGKG nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahrs ausgeschlossen, wenn der Vergütungsempfänger auf die Beständigkeit der infolge der Vergütungsfestsetzung eingetretenen Vermögenslage vertrauen durfte, was regelmäßig anzunehmen ist, es sei denn, dass der Vergütungsempfänger aufgrund besonderer Umstände mit einer Rückforderung rechnen musste.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.8.2019 – 1 WF 128/19
1 Sachverhalt
Das AG hat der Antragstellerin als im Rahmen ratenfrei bewilligter Verfahrenskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwältin in dem der Vergütungssache zugrundeliegenden Scheidungsverbundverfahren nach Maßgabe des Festsetzungsantrags v. 29.6.2015 aufgrund Auszahlungsanordnung v. 8.7.2015 insgesamt eine aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung i.H.v. 720,43 EUR gewährt. Auf die Erinnerung der Landeskasse v. 20.12.2018 setzte das AG die Vergütung mit Beschl. v. 2.1.2019 neu auf insgesamt 334,15 EUR fest und verlangte von der Antragstellerin Rückzahlung eines Betrags von 386,28 EUR.
Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerin hat das AG die Entscheidung v. 2.1.2019 mit dem angefochtenen Beschl. v. 4.6.2019 abgeändert und die Rückzahlungsanordnung aufgehoben. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, die Erinnerung der Landeskasse sei zwar gem. § 56 RVG nicht fristgebunden. Nach Ablauf des auf die Kostenfestsetzung folgenden Kalenderjahrs sei jedoch das Erinnerungsrecht der Landeskasse in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 GKG erloschen und eine Rückforderung nicht mehr möglich. Die Antragstellerin habe nach Ablauf von drei Jahren darauf vertrauen dürfen, dass die Vergütung nicht nachträglich herabgesetzt werde.
Dies greift die Landeskasse mit ihrer Beschwerde an. Sie macht geltend, in Betracht komme einzig ein Anspruchsausschluss wegen Verwirkung, deren Voraussetzungen aber nicht vorlägen.
2 Aus den Gründen
Das nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Völlig zu Recht hat das AG eine Rückforderung der überhöht gewährten Vergütung als ausgeschlossen angesehen.
1. Ob die Rückforderung einer überhöht festgesetzten und ausgezahlten Verfahrenskostenhilfevergütung durch die Landeskasse einer zeitlichen Begrenzung unterliegt und inwieweit Vertrauensschutzgesichtspunkte die Rückforderungsmöglichkeiten beschränken, wird unterschiedlich beurteilt.
a) Teils wird ein grds. unbeschränktes Rückforderungsrecht der Landeskasse angenommen. Diese Auffassung stützt sich maßgeblich auf die gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG unbefristete Erinnerungsbefugnis. Eine zeitliche Begrenzung der Rückforderungsmöglichkeit widerspreche dieser Regelung. Dem Vertrauensschutzprinzip sei durch den Einwand der Verwirkung Rechnung zu tragen. Hierfür müsse neben dem Zeitmoment auch das Umstandsmoment vorliegen (OLG Düsseldorf – 10. Zivilsenat, JurBüro 2017, 354 = AGS 2017, 350]; Schneider/Volpert/Fölsch/Volpert, FamGKG, 2. Aufl., § 19 Rn 6). Das Umstandsmoment erfordere, dass sich der Vergütungsempfänger aufgrund des Verhaltens der Staatskasse nach der erfolgten Festsetzung darauf eingerichtet habe, dass diese ihr Recht nicht mehr geltend mache, und dass wegen des geschaffenen Vertrauensbestands die verspätete Geltendmachung des Rechts eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte darstelle (Schneider/Volpert/Fölsch/Volpert, a.a.O.).
b) Demgegenüber wird ein Rückforderungsrecht der Landeskasse vielfach unter Verweis auf die Wertung des § 20 Abs. 1 GKG nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahrs abgelehnt (OLG Celle FamRZ 2011, 246; OLG Schleswig FamRZ 2009, 451; OLG Saarbrücken OLGR 2000, 199; OLG Düsseldorf – 10. Zivilsenat, NJW-RR 1996, 441; BeckOK Kostenrecht/Dörndorfer, Stand: 1.6.2019, § 20 GKG Rn 1).
c) Nach Auffassung des Senats ist die Vergütungsrückforderung in dem vorliegenden Scheidungsverbundverfahren gem. dem Vertrauensgrundsatz auf der Grundlage der Wertung des § 19 Abs. 1 FamGKG nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahrs ausgeschlossen, wenn der Vergütungsempfänger auf die Beständigkeit der infolge der Vergütungsfestsetzung eingetretenen Vermögenslage vertrauen durfte, was regelmäßig anzunehmen ist, es sei denn, dass der Vergütungsempfänger aufgrund besonderer Umstände mit einer Rückforderung rechnen musste.
Die Annahme eines grds. unbefristeten, lediglich durch den Einwand der Verwirkung beschränkten Rückforderungsrechts der Landeskasse wird dem Vertrauensgrundsatz nicht hinreichend gerecht. Das Vertrauen des Bürgers – auch als Rechtsanwalt – in die Bestandskraft eines Hoheitsakts ist in besonderem Maße zu berücksichtigen (vgl. OLG Köln FamRZ 2012, 328, 329) und in aller Regel schutzwürdig. Dem Vergütungsempfänger ist eine auf Jahre wirkende Rechtsunsicherheit betreffend die Beständigkeit der durch die Vergütung geschaffen...