GKG § 48 Abs. 2
Leitsatz
- Für die Bemessung des Streitwerts von Streitigkeiten um die Löschung von Äußerungen auf einem sozialen Netzwerk und die Sperrung des Accounts sind neben der wirtschaftlichen Bedeutung für den Antragsteller auch Marktmacht und Reichweite des Anbieters zu berücksichtigen.
- In einfach gelagerten Verfügungsverfahren beträgt der Streitwert für eine Einzeläußerung regelmäßig 7.500,00 EUR (entgegen OLG Frankfurt, Beschl. v. 7.9.2018 – 16 W 38/18).
OLG Dresden, Beschl. v. 19.1.2019 – 4 W 1074/18
1 Sachverhalt
Der Antragssteller hat sich mit einer einstweiligen Verfügung gegen die Löschung eines von ihm verfassten Beitrags auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Plattform www.XXX.com und seine – zwischenzeitlich abgelaufene – Teilsperre von Einzelfunktionen gewandt. Das LG hat den Antrag wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit zurückgewiesen und den Streitwert des Verfügungsverfahrens auf 3.000,00 EUR festgesetzt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat der Antragsteller zurückgenommen.
2 Aus den Gründen
Nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde war nur noch über den Streitwert des Verfügungsverfahrens zu entscheiden. Diesen setzt der Senat auf 7.500,00 EUR fest. Der Auffassung des LG und des OLG Frankfurt, auf dessen Beschl. v. 7.9.2018 (16 W 38/18) es sich gestützt hat, wonach der Streitwert für eine auf Unterlassung einer Löschung/Sperrung auf einem sozialen Netzwerk gerichtete einstweilige Verfügung unbeschadet der jeweiligen Umstände mit maximal 3.000,00 EUR anzusetzen sei, kann sich der Senat aus folgenden Gründen nicht anschließen:
aa) Nach § 48 Abs. 2 GKG ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Für die Streitwertfestsetzung bei Unterlassungsansprüchen gegenüber einer ehrverletzenden Äußerung sind neben dem Grad der Verbreitung die Schwere des Vorwurfs sowie die Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruches des Verletzten in der Öffentlichkeit, die wirtschaftliche Bedeutung sowie die sonstige Bedeutung der Sache einzubeziehen (vgl. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn 1830 ff.). Ausgangspunkt für die Bemessung sind die Werte der §§ 52 Abs. 2 GKG, § 23 Abs. 3 S. 2 RVG (jeweils 5.000,00 EUR), die nach Maßgabe des Einzelfalles zu erhöhen oder zu vermindern sind. Im einstweiligen Verfügungsverfahren liegt der Streitwert unter dem der Hauptsache, weil das für ein Verfahren maßgebende Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung im Regelfall nicht das Befriedigungsinteresse erreicht (Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 3 Rn 16 Stichwort: "Einstweilige Verfügung"). In äußerungsrechtlichen Verfügungsverfahren ohne besondere Bedeutung beträgt der Streitwert regelmäßig 5.000,00 EUR (Senat, Beschl. v. 9.4.2018 – 4 W 296/18, juris Rn 2; Beschl. v. 23.1.2013 – 4 W 1363/12). Es besteht kein Grund, für Streitigkeiten, die die Löschung einer als ehrverletzend angesehenen Äußerung und die Sperrung des Accounts in einem sozialen Netzwerk betreffen und sich damit als spiegelbildlich zu einer einstweiligen Verfügung wegen einer erfolgten Ehrverletzung darstellen, von anderen Grundsätzen auszugehen.
bb) Vorliegend ist dieser Betrag im Hinblick auf die Marktmacht, die Reichweite und den potentiellen Empfängerkreis auf den Seiten der Antragsgegnerin allerdings höher anzusetzen. Dass der vom Antragsteller geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht delikts-, sondern vertragsrechtlicher Natur ist, ist hierfür ohne Belang, weil auch durch ein Handeln im Rahmen eines Vertragsverhältnisses in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vertragspartners eingegriffen werden kann. Auch der durch die Löschung/Sperre eingetretene finanzielle Schaden, den der Antragsteller in seinem Schreiben an die Antragsgegnerin v. 18.10.2018 mit 50,00 EUR/Tag beziffert hat, ist nur einer von mehreren in die Bemessung einzubeziehenden Gesichtspunkten und stellt lediglich die Untergrenze des maßgeblichen Streitwerts dar. Etwaige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, die auch darin liegen können, dass dieser von der Verbreitung einer bestimmten Äußerung dauerhaft und von der Nutzung des größten sozialen Netzwerkes in Deutschland zeitweise ausgeschlossen wird, sind zusätzlich in die Bemessung einzubeziehen. Nicht gefolgt werden kann in diesem Zusammenhang der Auffassung, die Tragweite einer Löschung/Sperre auf einem sozialen Netzwerk sei unter keinen Umständen mit der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen und/oder Schmähkritik durch Dritte zu vergleichen. Hierbei bleibt außer Betracht, dass ein Nutzer durch diese Einschränkung seines Kommunikationsgrundrechts auch sein Recht zum Gegenschlag auf die Äußerung eines anderen Nutzers verliert und sich gegenüber unwahren Tatsachenbehauptungen Dritter, die sich viral in weitaus größerer Geschwindigkeit verbreiten, in der Zeit seiner Sperrung kaum zur Wehr setzen kann, zumal diese oft anonym erfolge...