In der Rspr. ist umstritten, wie zu verfahren ist, wenn mehrere, in verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten angefallene Gebühren auf eine und dieselbe Gebühr anzurechnen sind. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn in verschiedenen Angelegenheiten Geschäftsgebühren nach Nr. 2300 VV entstanden sind und diese Angelegenheiten dann in ein einheitliches gerichtliches Verfahren und damit in nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit münden, in der nur eine einzige Verfahrensgebühr entsteht. Nach der Rspr. des BGH sind in diesen Fällen alle angefallenen Geschäftsgebühren nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV zur Hälfte bzw. je höchstens mit 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Das hat zur Folge, dass in den Fällen, in denen die Summe der anzurechnenden Beträge die Höhe der Verfahrensgebühr erreicht oder übersteigt, im gerichtlichen Verfahren wirtschaftlich gesehen keine Verfahrensgebühr mehr verbleibt. Nach der Gegenauffassung ist die Anrechnung in diesen Fällen in analoger Anwendung von § 15 Abs. 3 RVG beschränkt auf einen nach dem höchsten Anrechnungssatz aus dem Gesamtwert berechneten Betrag.
Beispiel 7
Rechtsanwalt R wird außergerichtlich wegen eines Zugewinnausgleichsanspruchs (Wert: 10.000,00 EUR) sowie wegen der Auseinandersetzung der Haushaltsgegenstände (Wert: 4.000,00 EUR) tätig. Im Scheidungsverfahren (Wert: 4.000,00 EUR) werden der Zugewinnausgleichsanspruch sowie die Haushaltssache als Folgesachen anhängig gemacht.
Für die späteren Folgesachen Zugewinnausgleich und Haushalt sind außergerichtlich jeweils besondere Geschäftsgebühren angefallen, weil es sich jeweils um besondere gebührenrechtliche Angelegenheiten handelte. § 16 Nr. 4 RVG (Wertzusammenrechnung) gilt nicht, weil es noch kein Scheidungsverfahren gibt.
Rechtsanwalt R hat folgende Geschäftsgebühren berechnet:
Zugewinnausgleich |
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1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
725,40 EUR |
(Wert: 10.000,00 EUR) |
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Haushalt |
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1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
378,00 EUR |
(Wert: 4.000,00 EUR) |
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Im Scheidungsverbundverfahren entsteht wegen § 16 Nr. 4 RVG nur eine 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV nach den zusammengerechneten Werten der Scheidung sowie der beiden Folgesachen, auf die nunmehr nach der Rspr. des BGH jede der beiden angefallenen Geschäftsgebühren nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV zur Hälfte, höchstens mit 0,75 anzurechnen ist:
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
904,80 EUR |
(Wert: 18.000,00 EUR) |
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hierauf anzurechnen: |
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0,65 nach einem Wert |
– 362,70 EUR |
i.H.v. 10.000,00 EUR |
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0,75 nach einem Wert |
– 187,50 EUR |
i.H.v. 4.000,00 EUR |
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Gesamt |
354,60 EUR |
Der geplante neue § 15a Abs. 3 RVG greift die Gegenauffassung auf und bestimmt, dass im Falle der teilweisen Anrechnung mehrerer Gebühren auf dieselbe Gebühr der anzurechnende Betrag für jede anzurechnende Gebühr gesondert zu ermitteln ist. Bei Wertgebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung dabei jedoch denjenigen Anrechnungsbetrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn eine Gebühr anzurechnen wäre, die sich aus dem Gesamtbetrag der betroffenen Wertteile nach dem höchsten für die Anrechnungen einschlägigen Gebührensatz berechnet. Bei Betragsrahmengebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung den für die Anrechnung bestimmten Höchstbetrag nicht übersteigen.
Daraus ergibt sich nach dem KostRÄG 2021 folgende Berechnung im Beispiel 7:
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
1.001,00 EUR |
(Wert: 18.000,00 EUR) |
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hierauf anzurechnen: |
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0,75 nach einem Wert |
– 538,50 EUR |
i.H.v. 14.000,00 EUR |
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Gesamt |
462,50 EUR |
Die geplante Erhöhung beläuft sich hier auf ca. 30 %. Auf die lineare Erhöhung entfallen 10 %, auf die Regelung der Anrechnung in § 15a Abs. 3 RVG ca. 20 % des Erhöhungsvolumens.
Durch die Einstellung in § 15a RVG und nicht in Vorbem. 3 Abs. 4 VV wird gewährleistet, dass die Regelung nicht nur bei der Anrechnung von Geschäftsgebühren, sondern auch der Anrechnung anderer Gebühren Anwendung findet.