RVG § 48 Abs. 6; StPO § 304
Leitsatz
- Das RVG regelt abschließend, in welchen Fällen Entscheidungen, die auf der Grundlage dieses Gesetzes ergangen sind, mit der Erinnerung oder der Beschwerde angegriffen werden können.
- Da das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht und auch nicht auf das System der StPO verweist, ist eine isolierte Beschwerde gem. § 304 StPO gegen die Erstreckungsentscheidung nicht zulässig.
OLG Bremen, Beschl. v. 23.4.2020 – 1 Ws 9/20
1 Sachverhalt
Rechtsanwalt E. wurde dem Verurteilten in diesem Verfahren am 13.1.2019 als Verteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO beigeordnet. Mit Urt. v. 31.5.2019 erkannte die Strafkammer des LG gegen den Verurteilten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Wohnungseinbruchsdiebstahl, Diebstahl in sechs Fällen sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten und ordnete seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Das Urteil erlangte am 8.7.2019 Rechtskraft.
Dieser Entscheidung liegen mehrere zu unterschiedlichen Zeitpunkten miteinander verbundene Verfahren zu Grunde. Vorgenommen wurden die Verbindungen zum Teil bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft, für einen anderen Teil der hinzuverbundenen Verfahren vom zunächst zuständigen AG und schließlich von der Strafkammer selbst.
Am 14.7.2019 beantragte Rechtsanwalt E. die Kostenfestsetzung in dem hiesigen Verfahren und führte hierbei insgesamt 23 Verfahren auf, bei denen es sich auch um Verfahren handelte, für die der Verteidiger allein die Vorgangsnummern der Polizei benannte. Bei der Festsetzung der Kosten am 15.8.2019 blieben diese Verfahren unberücksichtigt. Mit Schreiben v. 9.10.2019 beantragte er die Erstreckung der Wirkung der Pflichtverteidigerbestellung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auf die in seinem Kostenfestsetzungsantrag benannten 23 Verfahren.
Mit Beschl. v. 19.11.2019 erstreckte die Strafkammer des LG die Wirkung der Pflichtverteidigerbestellung auf das Verfahren 9 KLs 570 Js 7232/19 und lehnte den Antrag i.Ü. als unbegründet ab. Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Erstreckungsanordnung auf zwei weitere Verfahren auszudehnen und die Beschwerde i.Ü. als unbegründet zu verwerfen.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde leidet bereits den Mangel der Zulässigkeit, denn ein solches Rechtsmittel gegen die Erstreckungsentscheidung als Zwischenentscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren sieht das RVG nicht vor. Durch das 2. KostRMoG vom 23.7.2013 wurde dem § 1 RVG ein neuer Abs. 3 angefügt. Darin wird klargestellt, dass im RVG enthaltene Vorschriften über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen über eine Erinnerung und Beschwerde in den für das jeweilige Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen. Nur wenn eine spezielle Vorschrift des RVG wegen einer Erinnerung oder einer Beschwerde auf Vorschriften eines anderen Gesetzes verweist und diese für entsprechend anwendbar erklärt, kann auf diese zurückgegriffen werden (Hartung/Schons/Enders, 3. Aufl., 2017, RVG § 1 Rn 154, 155). Für die StPO enthält etwa § 52 Abs. 4 RVG einen solchen Verweis. Fehlt es daran, ist ein Rückgriff auf das Rechtsmittelsystem der jeweiligen Verfahrensordnung nicht zulässig (so für § 46 Abs. 2 RVG: BFH, Beschl. v. 15.6.2015 – III R 17/13, juris Rn 12 [= AGS 2015, 412]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.9.2014 – III-1 Ws 247/14, juris Rn 8; OLG Celle, Beschl. v. 25.6.2012 – 2 Ws 169/12, juris Rn 7 [= AGS 2012, 480]). Da das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht und auch nicht auf das System der StPO verweist, ist eine isolierte Beschwerde gegen die Erstreckungsentscheidung nicht zulässig (a.A.: OLG Celle, Beschl. v. 4.9.2019 – 2 Ws 253/19, juris Rn 10 [= AGS 2019, 554]; zu § 48 Abs. 5 S. 3 a.F.: KG, Beschl. v. 27.9.2011 – 1 Ws 64/10, juris Rn 2 m.w.N.).
Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 467 StPO analog (OLG Celle, Beschl. v. 4.9.2019 – 2 Ws 253/19, juris Rn 27 [= AGS 2019, 554]).
3 Anmerkung
A.A. sind das OLG Celle und das KG, die eine Beschwerde nach § 304 Abs.1 StPO als gegeben ansehen. Die besseren Argumente sprechen für das OLG Bremen, da das RVG keinen Rechtsbehelf gegen die Erstreckungsentscheidung vorsieht. Die StPO ist insoweit nicht anwendbar, da sie durch § 1 Abs. 3 RVG ausgeschlossen wird. Dies hat das Gericht zutreffend erkannt. Wieso das Gericht dann aber wegen der Kostenentscheidung doch wieder auf die StPO abstellt, ist nicht nachvollziehbar.
Rechtsanwalt Norbert Schneider
AGS 10/2020, S. 470 - 471