§ 121 ZPO
Leitsatz
Wird ein außerhalb des Gerichtsbezirks ansässiger Anwalt beigeordnet und besteht ein Anspruch des bedürftigen Beteiligten auf Hinzuziehung eines Verkehrsanwalts, ist auf Antrag der auswärtige Verfahrensbevollmächtigte mit der Maßgabe beizuordnen, dass die Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beigeordnete Rechtsanwalt seine Kanzlei nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts hat, bis zur Höhe der Vergütung eines Verkehrsanwalts am Wohnort des Beteiligten aus der Landeskasse zu übernehmen sind.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 4.5.2021 – 7 WF 135/20
I. Sachverhalt
Die in Schmalkalden (Thüringen) wohnhafte Antragstellerin hatte die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (VKH) für ein Scheidungsverfahren vor dem FamG Kassel sowie die Beiordnung ihrer in Schmalkalden ansässigen Rechtsanwältin beantragt. Das FamG hat VKH bewilligt, und zwar dahingehend, dass die in Schmalkalden ansässige Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin mit der Maßgabe beigeordnet werde, dass die "Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass die beigeordnete Rechtsanwältin die Kanzlei nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts hat, nur bis zur Höhe der Vergütung eines Verkehrsanwalts" am Ort der Antragstellerin erstattungsfähig sind. Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wendet sich gegen die Beschränkung im Rahmen der Beiordnung und begehrt eine Formulierung dahingehend, dass die Mehrkosten, "die dadurch entstehen, dass die beigeordnete Rechtsanwältin die Kanzlei nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts hat, bis zur Höhe der zusätzlichen Kosten eines Verkehrsanwalts" an ihrem Wohnort erstattungsfähig sein sollen. Zur Begründung beruft sie sich auf OLG Brandenburg (AGS 2017, 234). Sie wendet ein, dass ihr mit der vom FamG gewählten Formulierung zu Unrecht das Risiko aufgebürdet würde, dass die Reisekosten im Falle mehrerer Termine die fiktiven Kosten eines Verkehrsanwalts übersteigen könnten. Das FamG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und ausgeführt, dass die angegriffene Mehrkostenregelung der Vorschrift des § 121 Abs. 3 u. 4 ZPO (i.V.m. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG) entspreche.
II. Formulierung nicht zu beanstanden
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die zusätzliche Beiordnung eines Verkehrsanwalts lägen hier zwar vor; jedoch sei die getroffene Formulierung der Beiordnung nicht zu beanstanden. Auch ergebe sich aus der zitierten Entscheidung des OLG Brandenburg nichts anderes.
III. "Mehrkosten" nicht "Kosten"
Die beschwerdeführende Anwältin hat insoweit Recht, als ein Unterschied besteht, ob die Reisekosten des beigeordneten auswärtigen Anwalts bis zur Höhe der "Kosten" eines Verkehrsanwalts übernommen werden oder bis zur Höhe der "Mehrkosten" eines Verkehrsanwalts. Sie hat allerdings den Umfang ihrer Beiordnung verkannt. Die beigeordnete Anwältin ist offenbar davon ausgegangen, dass das FamG angeordnet habe, ihre Reisekosten würden nur bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts aus der Landeskasse übernommen. Angeordnet war aber tatsächlich, dass die Landeskasse die "Mehrkosten" übernimmt, die dadurch entstehen, dass die beigeordnete Rechtsanwältin ihre Kanzlei nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts hat und dass nur diese Mehrkosten auf die Höhe der Vergütung eines Verkehrsanwaltes am Wohnort der Antragstellerin beschränkt worden sind. Die vom FamFG verwandte Formulierung hat die gleiche Rechtsfolge wie die im zitierten Fall des OLG Brandenburg.
Auswirkungen haben die unterschiedlichen Formulierungen, wenn die Reisekosten bei einem ersten Termin bereits die Kosten eines Verkehrsanwalts übersteigen oder wenn es bei mehreren Terminen zu einem Überschreiten kommt.
Beispiel 1
Der Anwalt hat seine Kanzlei in Nürnberg und wird von der Nürnberger Mandantin in einer Ehewohnungssache vor dem FamG München beauftragt. Der Mandantin wird VKH bewilligt und ihr Nürnberger Anwalt beigeordnet. Es kommt zu einem Termin vor dem FamG München, zu dem der Anwalt anreist (einfache Entfernung 171 km). Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Es ergeben sich also bei einem Termin Fahrtkosten i.H.v.
Fahrtkosten Pkw, Nr. 7003 VV |
143,64 EUR |
(2 x 171 km x 0,42 EUR/km) |
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Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 2 VV |
50,00 EUR |
Insgesamt netto |
193,64 EUR |
Demgegenüber belaufen sich die Kosten eines Verkehrsanwalts auf
1,0-Gebühr, Nr. 3400 VV, § 49 RVG |
222,00 EUR |
(Wert: 3.000,00 EUR) |
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Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Insgesamt netto |
242,00 EUR |
Die Verkehrsanwaltskosten liegen damit über den Reisekosten, sodass die Reisekosten in voller Höhe aus der Landeskasse zu übernehmen sind.
Beispiel 2
Wie Beispiel 1, jedoch kommt es zu zwei Terminen vor dem FamG München.
Jetzt belaufen sich die Reisekosten auf:
Fahrtkosten Pkw (1. Termin), Nr. 7003 VV |
143,64 EUR |
(2 x 171 km x 0,42 EUR/km) |
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Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 2 VV |
50,00 EUR |
Fahrtkosten Pkw (2. Termin), Nr. 7003 VV |
143,64 EUR |
(2 x 171 km x 0,42 EUR/km) |
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Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 2 VV |
50,00 EUR |
Insgesamt netto |
387,28 EUR |
Wäre die Beiordnung dahingehen...