§ 32 Abs. 2 S. 1 RVG, §§ 2303, 2315, 2325 BGB; § 45 Abs. 1 u. 3 GKG
Leitsatz
- § 45 Abs. 1 S. 3 GKG findet dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden. Dies ist bei einer Klage auf weitere Pflichtteilszahlung und einer Widerklage auf Rückzahlung überzahlten Pflichtteilsanspruchs der Fall.
- Eine Klage auf Pflichtteilsergänzung (§ 2315 BGB) und eine Widerklage auf Rückzahlung überzahlten Pflichtteilsanspruchs (§ 2303 BGB) betreffen nicht denselben Gegenstand i.S.d. § 45 Abs. 1 S. 3 GKG.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 7.7.2021 – 3 W 30/21
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte zunächst außergerichtlich seinen Pflichtteilsanspruch gegen die Beklagte als Alleinerbin geltend gemacht, den diese auch beglichen hatte. Im Anschluss daran hat der Kläger gegen die Beklagte noch weitere Ansprüche geltend gemacht, und zwar auf Pflichtteilsergänzung i.H.v. 14.057,09 EUR. Da die Beklagte die geforderte Zahlung ablehnte, erhob der Kläger Klage auf Zahlung der 14.057,09 EUR. Die Beklagte erhob daraufhin eine Widerklage und verlangte Rückzahlung i.H.v. 5.081,27 EUR. Dies begründete sie damit, dass sie auf den Pflichtteilsanspruch 5.081,27 EUR zu viel gezahlt habe. Bei der Pflichtteilsberechnung sei man nämlich hinsichtlich einiger Positionen von zu hohen Werten ausgegangen, was erst im Nachhinein aufgefallen sei. Der Kläger sei daher hinsichtlich der Pflichtteilsansprüche überzahlt und müsse diesen Betrag zurückzahlen. Das LG hat nach Abschluss des Verfahrens die Werte von Klage und Widerklage nicht addiert. Es ist davon ausgegangen, dass hier der Klage und der Widerklage derselbe Anspruch zugrunde liege, sodass nur der höhere Anspruch, hier also 14.057,09 EUR, gelte. Die Nämlichkeit von Klage und Widerklage folge daraus, dass das Gericht nur der Klage oder der Widerklage hätte stattgeben können und dass das Stattgeben der Klage bzw. der Widerklage zwingend zur Folge gehabt hätte, dass die Widerklage bzw. die Klage abzuweisen sei. Daher sei nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG derselbe Streitgegenstand gegeben und folglich nur der höhere Wert der Klage maßgebend. Der hiergegen erhobenen Beschwerde hat das OLG stattgegeben und den Wert auf (14.057,09 EUR + 5.081,27 EUR =) 19.138,36 EUR festgesetzt.
II. Zulässigkeit
Die Beschwerde des Rechtsanwalts ist aus eigenem Recht gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 1 GKG zulässig. Ein Anwalt kann aus eigenem Recht eine Beschwerde mit dem Ziel der Erhöhung des Streitwerts erheben, da er durch eine zu niedrige Fristsetzung beschwert ist, weil er dann nur geringere Gebühren abrechnen kann. Der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands ist auch gegeben, da die Gebührendifferenz zwischen dem beantragten und dem festgesetzten Wert mehr als 200,00 EUR ausmacht.
III. Werte von Klage und Widerklage sind zu addieren
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Werte von Klage und Widerklage sind zu addieren.
Für die Klage ergibt sich ein Wert i.H.v. 14.057,09 EUR. Die Widerklage demgegenüber hate einen Streitwert von 5.081,21 EUR, sodass sich ein Gesamtwert i.H.v. 19.138,36 EUR ergibt.
Das Additionsverbot des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG findet hier keine Anwendung, da Klage und Widerklage nicht denselben Streitgegenstand betreffen. Nach § 45 Abs. 1 S. 1 GKG sind die in einer Klage und Widerklage geltend gemachten Ansprüche grds. zu addieren. Allerdings ist nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, wenn die einander gegenüberstehenden Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Letzteres ist unabhängig vom zivilprozessualen Streitgegenstand bei wirtschaftlicher Identität von Klage und Widerklage der Fall. Diese Identität sei dann gegeben, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinanderstehen könnten, dass beiden stattgegeben werden kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht (BGH AGS 2014, 234). Hier verhält es sich zwar so, dass sich die Ansprüche wechselseitig ausschließen. Denn wenn sich hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs ein Rückzahlungsanspruch ergibt, kann sich kein Pflichtteilsergänzungsanspruch ergeben. Wenn sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch ergibt, kann aber nicht gleichzeitig der Pflichtteil teilweise zurückzuzahlen sein.
Allerdings findet § 45 Abs. 1 S. 3 GKG dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar selbstständig ausschließen, sich wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Klage betrifft nämlich wirtschaftlich einen anderen Gegenstand als die Widerklage. Wirtschaftlich streiten sich die Parteien um die vollen 19.138,36 EUR. Denn wenn der Klage stattgegeben werde, steht gleichzeitig fest, dass der Beklagte seine 5.081,21 EUR nicht erhält. Er verliert also wirtschaftlich mit Ansprüchen i.H.v. 19.13...