§ 86 Abs. 1 S. 2 VVG; § 812 Abs. 1 BGB

Leitsatz

  1. Gerichtskostenerstattungen sind Fremdgelder und an den Rechtsschutzversicherer zu erstatten, soweit er diese bevorschusst hat.
  2. Jeder Gesellschafter einer Anwalts GbR haftet für Ansprüche gegen die GbR.
  3. Es besteht kein Quotenvorrecht des Mandanten bei Gerichtskostenerstattungen, da lediglich die Versicherungsleistung nachträglich reduziert wird.
  4. Eine Aufrechnung des Anwalts mit eigenen Gebührenansprüchen scheitert an der fehlenden Aufrechnungslage.

AG Lingen, Urt. v. 17.2.2021 – 4 C 467/20, rechtskräftig

I. Sachverhalt

Die Klägerin, eine Rechtsschutzversicherung, verlangt vom Beklagten, einem Rechtsanwalt, die Erstattung von nicht verbrauchten Gerichtskosten. Die Erstattung erfolgte durch das Ausgangsgericht nicht an den Beklagten persönlich, aber an die Rechtsanwalts GbR, in der der Beklagte tätig ist.

Der Beklagte verteidigte sich mit der fehlenden Passivlegitimation, sowie eigenen Gebührenansprüchen gegen den Mandanten und Versicherungsnehmer der Klägerin. Darüber hinaus wäre eine Erstattung aufgrund des Quotenvorrechts nicht möglich, da die Selbstbeteiligung seiner Mandantschaft i.H.v. 500,00 EUR die Gerichtskostenerstattung übersteigen würde.

II. Unmittelbarer Direktanspruch des Versicherers gegen den Anwalt

Die Klage ist zulässig.

Der Beklagte ist für den Rückzahlungsanspruch passivlegitimiert, da er als Gesellschafter einer GbR im Außenverhältnis haftet. Gläubiger haben hierbei die Wahl, ob sie die GbR selbst oder einen beliebigen Gesellschafter in Anspruch nehmen.

Die Klage ist auch begründet.

Gem. § 812 Abs. 1 BGB hat die Klägerin einen Rückzahlungsanspruch gegen den Beklagten in Höhe der Gerichtskostenerstattung. Die Erstattung ist durch das Gericht unstreitig auf das Konto der GbR erfolgt. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen Schadenersatzanspruch i.S.v. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG. Vielmehr handelt es sich um einen einfachen Abrechnungsanspruch und stellt daher keinen "Ersatzanspruch gegen einen Dritten" dar. Aus diesem Grund kommt ein Quotenvorrecht nicht in Betracht.

Bei der Erstattung der Gerichtskosten erfolgt lediglich eine nachträgliche Reduzierung des vertragsgemäßen Versicherungsumfangs. Der Versicherer kann die erbrachte Zuvielzahlung zurückverlangen (vgl. AG Kempen v. 29.11.2010 – 4 C 1178/10).

Bei der Gerichtskostenerstattung handelt es sich darüber hinaus für den Beklagten um weiterzuleitendes Fremdgeld. Eine Verrechnung mit offenen Anwaltskosten seitens des Beklagten kann hierbei nicht erfolgen. Es fehlt bereits an einem Vertragsverhältnis zwischen den Klageparteien und damit u.a. an einer Aufrechnungslage. Auch ein Zurückbehaltungsrecht kommt hier nicht in Betracht.

III. Bedeutung für die Praxis

Der Rechtsanwalt in einem rechtsschutzversicherten Mandat tut gut daran, bei der Abrechnung auch auf die Ansprüche der Rechtsschutzversicherung zu achten. Sowohl der Anspruchsübergang nach § 86 VVG, als auch bereicherungsrechtliche Ansprüche müssen dabei Berücksichtigung finden.

Auch wenn es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass die Rechtsschutzversicherung im Rahmen ihrer Leistungspflicht nur die tatsächlich angefallenen Kosten erstattet, wird dies in der Praxis häufig bei der Endabrechnung nicht ausreichend berücksichtigt. Nicht nur Gerichtskostenerstattungen nach einem gerichtlichen Vergleich oder Erstattungen nicht verbrauchter Sachverständigenvorschüsse können der Versicherung direkt zustehen. Gleiches gilt auch für bevorschusste, aber letztlich nicht angefallen Gebühren. Einfacher ist es hierbei die eigene Endabrechnung im Blick zu haben und hiervon die bekannte Selbstbeteiligung des Mandanten abzuziehen. Abzgl. aller bereits geleisteten Zahlungen dürften die Überschüsse regelmäßig der Rechtsschutzversicherung zustehen.

Dies gilt natürlich nicht hinsichtlich Erstattungen durch Dritte, wie dem Prozessgegner des Mandanten. Wie das AG richtig feststellt, gilt § 86 Abs. 1 S. 2 VVG nur für diese Form der Erstattungen. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es gerade nicht den Versicherungsnehmer seinen Selbstbehalt zu erstatten, in dem der Anwalt höhere Vorschüsse verlangt und anschließend den Selbstbehalt an den Mandanten erstattet. Vielmehr soll der Mandant erst im Falle von tatsächlichen Erstattungen durch den Gegner in den Genuss der vorrangigen Befriedigung kommen. Soweit also Zahlungen durch Dritte i.S.v. § 86 VVG erfolgen, kann erst dann für den Mandanten das Quotenvorrecht relevant werden.

Das AG weist auch noch darauf hin, dass es sich bei der Gerichtskostenerstattung um Fremdgeld handelt. Unabhängig davon, dass Fremdgeld unverzüglich auszukehren ist (§ 43a Abs. 5 BRAO, § 4 Abs. 2 BORA), verbietet sich insoweit auch eine Aufrechnung mit eigenen Gebührenansprüchen gegen den Mandanten. Hierbei muss klar zwischen Mandatsverhältnis und dem Anspruch der Rechtsschutzversicherung unterschieden werden. Es fehlt schlicht an der notwendigen Aufrechnungslage zwischen Rechtsschutzversicherung und Rechtsanwalt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. 1.2.2010 – I-24 U 156/09; LG Bremen, Urt. v. 6.3.2020 – 4 S 227/18, VersR 2020, 902). Darüber hinaus wird der eigene Mandant zu keinem Z...

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