§ 106 Abs. 2 ZPO
Leitsatz
Eine Partei ist nicht verpflichtet, sich an der Kostenausgleichung zu beteiligen. Es bleibt ihr unbenommen, im Falle einer Kostenquotierung auf den Kostenerstattungsanspruch des Gegners keine eigenen Kosten anzumelden und später einen eigenen Kostenfestsetzungsantrag zu stellen.
OLG Schleswig, Beschl. v. 30.9.2021 – 9 W 93/21
I. Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Verfahren hatten die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem LG zur Erledigung des Rechtsstreits und zur Abgeltung der Klageforderung einen Widerrufsvergleich geschlossen. Ein Widerruf des Vergleichs ist innerhalb der vereinbarten Frist nicht erfolgt. Nr. 3 des Vergleichs sieht folgende Kostenregelung vor: Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs tragen die Klägerin zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4.
Nachfolgend haben die Parteien die Kostenausgleichung beantragt, die Beklagte mit Kostenfestsetzungsantrag vom 23.3.2021 und die Klägerin mit Kostenfestsetzungsantrag vom 30.3.2021.
Mit Schriftsatz vom 6.4.2021 hat die Klägerin separate Kostenfestsetzung beantragt. Mit Verfügung vom 27.5.2021 hat der Rechtspfleger darauf hingewiesen, dass er eine zusammengefasste Kostenausgleichung in einem Kostenfestsetzungsbeschluss beabsichtige. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 8.6.2021 ihren Kostenfestsetzungsantrag vom 30.3.2021 zurückgenommen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.6.2021 hat das LG Lübeck die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 1.546,59 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist dem Klägervertreter am 18.6.2021 zugestellt worden. Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 21.6.2021 hat die Klägerin sodann erneut Kostenausgleichung beantragt. Mit Beschl. v. 19.7.2021 hat das LG den Festsetzungsantrag der Klägerin vom 21.6.2021 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
II. Aufhebung und Zurückverweisung
Die sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an den Rechtspfleger. Auf den nachträglichen Kostenfestsetzungsantrag vom 21.6.2021 wird der Rechtspfleger gem. § 106 Abs. 2 S. 1 u. S. 2 ZPO die nachträgliche getrennte Kostenfestsetzung durchzuführen haben mit der Rechtsfolge, dass die Klägerin die dadurch entstehenden Mehrkosten gem. § 106 Abs. 2 S. 2 ZPO zu tragen hat.
III. Keine Pflicht zur Kostenausgleichung
Das Gesetz sieht ausdrücklich die Möglichkeit einer getrennten Kostenfestsetzung in § 106 Abs. 2 ZPO vor, und zwar für den Fall, das bei einer Verteilung der Prozesskosten ganz oder teilweise nach Quoten nur eine Partei ihre Kosten zur Festsetzung anmeldet und der Gegner seinen Kostenfestsetzungsantrag nicht fristgerecht einreicht, sodass nur über die Kosten auf der Grundlage des Kostenfestsetzungsantrages der einen Partei entschieden wird. Wie sich aus der gesetzlichen Konstruktion ergibt, ist ein Antragsgegner im Kostenfestsetzungsverfahren nicht verpflichtet, seine Kosten anzumelden. Er kann gute Gründe haben, dies zu unterlassen. Ein solcher Grund kann zum Beispiel sein, dass er das Quotenvorrecht nach § 86 Abs. 1 VVG gegenüber seinem Rechtsschutzversicherer ausüben will und dazu die getrennte Ausweisung der einzelnen Erstattungsansprüche wünscht. Ein anderer Grund mag sein, dass er gegen den Kostenerstattungsanspruch des Gegners mit einer anderen Forderung aufrechnen will, die er selbst wegen Verjährung zwar nicht mehr durchsetzen, aber nach § 215 BGB noch zur Aufrechnung gegen den Kostenerstattungsanspruch des Gegners stellen kann und damit seinen eigenen Kostenerstattungsanspruch behält (Schneider, NJW-Spezial 2019, 347).
Kann man danach aber den Gegner nicht zwingen, seine Kosten anzumelden, kann man ihn auch nicht zur Kostenausgleichung verpflichten. Ob ausgeglichen wird oder nicht, ist immer die freie Entscheidung des Antragsgegners (Schneider, a.a.O.).
Da die Klägerin ihren ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag vom 30.3.2021 mit Schriftsatz vom 8.6.2021 zurückgenommen hat, ist mit Beschluss des LG zunächst lediglich die Festsetzung der Kosten der Beklagten erfolgt. Die Rücknahme des ersten Kostenfestsetzungsantrages vom 30.3.2021 ist zwar bindend und als Prozesshandlung unwiderruflich erklärt worden (MüKo ZPO/Schulz, 6. Aufl., 2020, § 103 Rn 44; Jaspersen, in: BeckOK ZPO, 41. Edition, Stand 1.7.2021, § 103 Rn 37; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., 2021, § 103 Rn 10), führt jedoch nicht dazu, dass nicht erneut ein Kostenfestsetzungsantrag gestellt werden kann. Auch eine Klage, die zurückgenommen wird, kann erneut erhoben werden (Argument aus § 269 Abs. 6 ZPO). Dies gilt entsprechend für einen Kostenfestsetzungsantrag (Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, a.a.O., § 103 Rn 10).
IV. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des OLG ist zutreffend. Eine Partei ist nicht verpflichtet, an der Kostenausgleichung teilzunehmen (LG Frankfurt, AGS 2011, 515 = NJW-Spezial 2011, 604 = RVGreport 2011, 391; LG Frankenthal NJW-Spezial 2013, 220). Sie ist insbesondere nicht verpflichtet, ihre Kosten anzumelden, wenn der Gegner seine Kosten anmeldet. Sie kann daher auch, wenn sie schon einen Kos...