§§ 1 Abs. 3, 33 Abs. 1 und Abs. 8 S. 1 RVG; §§ 132 Abs. 4, 139 Abs. 1 GVG

Leitsatz

Über einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG auf Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit ist nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim BGH nach § 33 Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG durch den Einzelrichter zu entscheiden.

BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 9.8.2021 – GSZ 1/20

I. Sachverhalt

Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte seinen Rechtsanwalt mit der Vertretung im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Berufungsurteil beauftragt. Mit der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung hat der Kläger nur einen Teil der Berufungsanträge weiterverfolgt. Der XI. ZS des BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zum Teil als unzulässig verworfen und i.Ü. zurückgewiesen. Den Gegenstandswert hat der BGH auf bis 35.000 EUR festgesetzt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nunmehr gem. § 33 Abs. 1 RVG beantragt, den Gegenstandswert im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf den – höheren – Betrag festzusetzen, der der gesamten sich aus dem Berufungsurteil ergebenden Beschwer des Klägers entspreche. Er sei nämlich vom Kläger beauftragt worden, die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde in vollem Umfang zu prüfen.

Der mit diesem Antrag befasste XI. ZS möchte eine gesonderte Wertfestsetzung gem. § 33 Abs. 1 RVG vornehmen, weil sich die Anwaltsgebühren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Streitwert, sondern nach dem Wert berechnen, der die Grundlage für den Auftrag zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bildete. Über diesen Antrag möchte der XI. ZS des BGH – wie bisher – gem. § 139 Abs. 1 GVG in der Besetzung von fünf Mitgliedern entscheiden. Hieran sieht sich der XI. ZS des BGH durch verschiedene seit März 2017 ergangene Entscheidungen anderer Zivilsenate gehindert, die gem. § 33 Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG von der funktionellen Zuständigkeit des Einzelrichters ausgegangen sind (so BGH – X. ZS – AGS 2017, 286 = JurBüro 2017, 310; BGH – V. ZS – AGS 2020, 33, 34; BGH – II. ZS – AGS 2020, 239).

Wegen dieser uneinheitlichen Rspr. der verschiedenen Senate hat der XI. ZS des BGH die Sache dem Großen Senat für Zivilsachen zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hat – wie aus dem Leitsatz ersichtlich – entschieden.

II. Festsetzung des Gegenstandswertes

1. Gesetzliche Regelung

Gem. § 33 Abs. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszuges den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert bestimmen oder es an einem solchen Wert fehlt. Über diesen Antrag entscheidet gem. § 33 Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG das Gericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Dies gilt übrigens gem. § 33 Abs. 8 S. 1 HS 2 RVG auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde.

Demgegenüber bestimmt § 139 Abs. 1 GVG, dass die Senate des BGH in der Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden entscheiden.

Nach § 1 Abs. 3 RVG gehen die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor.

2. Eindeutiger Gesetzeswortlaut

Nach den Ausführungen des Großen Senats für Zivilsachen des BGH ist der Wortlaut von § 33 Abs. 1 und Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG insoweit eindeutig, als über den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes das Gericht des Rechtszugs durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden habe. Diese Regelung gelte ihrem Wortlaut nach für alle Rechtszüge ohne Einschränkung. Gericht des Rechtszuges i.S.v. § 33 Abs. 1 RVG sei jeweils das Gericht, das in dem Verfahren zuständig war, für das die Wertfestsetzung begehrt wird. Folglich sei zuständiges Gericht für die Entscheidung über den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der BGH.

3. Vorrang des § 1 Abs. 3 RVG vor § 139 Abs. 1 GVG

Sodann hat der Große Senat für Zivilsachen des BGH festgestellt, dass die Vorschrift des § 33 Abs. 8 S. 1 RVG, wonach über den Antrag oder die Beschwerde der Einzelrichter entscheide, von der Regelung der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschrift des § 139 Abs. 1 GVG abweicht. Jedoch hätten nach § 1 Abs. 3 RVG die Verfahrensvorschriften des RVG und somit auch § 33 Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG Vorrang vor § 139 Abs. 1 GVG. Zwar bestimmt nach den Ausführungen des Großen Senats für Zivilsachen des BGH § 1 Abs. 3 RVG lediglich, dass die Vorschiften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde (im Verfahren betreffend den Gegenstandswert somit § 33 Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG) den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (hier § 139 Abs. 1 GVG) vorgehen. Hieraus sei jedoch nicht im Wege eines Umkehrschlusses zu schließen, dass die Vorschriften des RVG über den Antrag (§ 33 Abs. 8 S. 1 HS 1 RVG) den für das zugrunde liegenden Verfahren geltend...

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