§§ 15, 60 RVG
Leitsatz
Wird der Rechtsanwalt durch den späteren Nebenkläger bereits im Ermittlungsverfahren sowohl für dieses als auch für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beauftragt, handelt es sich gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit. Der Auftrag für das nachfolgende Gerichtsverfahren ist zudem bedingt durch die Anklageerhebung, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich ist.
OLG Celle, Beschl. v. 22.9.2022 – 1 Ws 51/22
I. Sachverhalt
In Rahmen eines gegen den Angeklagten u.a. wegen des Verdachts der Begehung eines versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil des Geschädigten der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens legitimierte sich der Rechtsanwalt gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 14.12.2020 für den Geschädigten und beantragte zunächst Akteneinsicht. Die vom Geschädigten unterzeichnete schriftliche Vollmacht, datiert vom 16.12.2020, ermächtigte den Rechtsanwalt zur außergerichtlichen und gerichtlichen Erledigung für alle Instanzen, insbesondere die Verteidigung in einem Strafverfahren einschließlich der Vorverfahren. Im weiteren Verfahrensgang wurde der Rechtsanwalt noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss v. 23.2.2021 als Beistand des Geschädigten nach §§ 397a Abs. 1, 406h Abs. 3 StPO bestellt.
Am 29.3.2021 hat die Staatsanwaltschaft dann Anklage zum Schwurgericht erhoben. Die Anklage wurde mit Beschl. v. 6.5.2021 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit demselben Beschluss hat das LG den Geschädigten als Nebenkläger unter Beiordnung des Rechtsanwalts zu.
Mit Urt. v. 22.9.2021 wurde der Angeklagte vom LG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; darüber hinaus wurden ihm u.a. die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen auferlegt. Der Beschwerdeführer nahm an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil und legte nachfolgend Revision gegen das am 22.9.2021 verkündete Urteil des Schwurgerichts ein.
Nach Verfahrensbeendigung beantragte der Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse die Festsetzung seiner im Ermittlungsverfahren, erstinstanzlichen Verfahren sowie Revisionsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen i.H.v. insgesamt 6.657,34 EUR. Er legte dabei für sämtliche Verfahrensabschnitte die Gebührensätze in der ab dem 1.1.2021 geltenden Fassung des RVG zugrunde. Die UdG brachte hingegen unter Verweis auf die Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühren für sämtliche Verfahrensabschnitte in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung in Ansatz und setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen lediglich auf 5.883,36 EUR fest. Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts wies das LG als unbegründet zurück. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass bereits im Jahr 2020 ein unbedingter Auftrag sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch das gerichtliche Verfahren vorgelegen hätte und daher für die gesamte Vergütung des Beschwerdeführers nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG das bisherige Recht anzuwenden sei.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Rechtsanwalts hatte Erfolg. Das OLG hat zugunsten des Rechtsanwalts auch die über den zuerkannten Betrag hinausgehenden 739,47 EUR zuerkannt.
II. Umfassender Auftrag
Für die Beurteilung der Frage, ob für das gerichtliche Strafverfahren altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden ist, seien – so das OLG – zwar sowohl die UdG als auch das LG zutreffend davon ausgegangen, dass sich dies maßgeblich danach richtet, ob dem Rechtsanwalt hier nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ein unbedingter Auftrag zur Durchführung vor oder nach dem 1.1.2021 (Inkrafttreten KostRÄG 2021) erteilt worden sei.
Bei der Beurteilung sei jedoch unberücksichtigt geblieben, dass es sich nach § 17 Nr. 10a RVG bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten handelt (vgl. Volpert, StraFo 2021, 188, 189; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 105, 142). So gehe das LG zwar zu Recht davon aus, dass bereits im Jahr 2020 eine umfassende Vertretung des Geschädigten im Ermittlungsverfahren sowie in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren durch den Geschädigten beauftragt worden sei. Denn hierfür hätten schon die Gesichtspunkte gesprochen, dass gegen den Angeklagten ein Haftbefehl ergangen war und eine zeitnahe Anklageerhebung zu erwarten gewesen. Auch habe der Rechtsanwalt bereits mit Schriftsatz vom 4.1.2021 die Bestellung als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO und die Zulassung als Nebenkläger im Namen des Geschädigten beantragt, was belege, dass er mit einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren in absehbarer Zeit gerechnet habe.
III. Gebührenrechtlich verschiedene Aufträge
Trotz dieser umfassenden Beauftragung durch den Geschädigten sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren handele es sich vorliegend ungeachtet der zeitgleichen Beauftragung nach § 17 Nr...