§§ 103 ff., 767, 775 Nr. 4 und 5 ZPO
Leitsatz
- Im Kostenfestsetzungsverfahren sind materiell-rechtliche Einwendungen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
- Dies gilt auch dann, wenn die Parteien unstreitig in einem Vergleich eine Regelung getroffen haben, wonach der Beklagte zugesagt hat, keinen Kostenantrag zu stellen, zwischen den Parteien jedoch streitig ist, ob der Verzicht auf Kostenerstattungsansprüche auch für die bereits zur Festsetzung angemeldeten Kosten erster Instanz gilt.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.5.2022 – 6 W 15/22
I. Sachverhalt
In dem vor dem LG Neuruppin anhängigen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatte der Verfügungsbeklagte in erster Instanz obsiegt. Mit Schriftsatz vom 18.12.2020 hat er die Festsetzung der erstinstanzlichen Kosten gegen die Verfügungsklägerin beantragt. Während des von der Verfügungsklägerin eingeleiteten Berufungsverfahrens hat der Rechtspfleger des LG Neuruppin über diesen Kostenfestsetzungsantrag nicht entschieden. In einem zwischen den Parteien vor dem LG Lübeck laufenden Rechtsstreit haben diese am 31.8.2021 einen Vergleich geschlossen. In diesem hat sich die Verfügungsklägerin verpflichtet, "die Ansprüche gegen den Beklagten … vor dem LG Lübeck zurückzunehmen" ebenso wie die Berufung in dem vor dem LG Neuruppin begonnenen Rechtsstreit. In dem Vergleich hat der Beklagte zugesagt, "in beiden Verfahren … keinen Kostenantrag zu stellen". Nachdem die Klägerin die gegen das Urteil des LG Neuruppin eingelegte Berufung zurückgenommen hat, hat der Rechtspfleger des LG auf den Antrag vom 18.12.2020 nunmehr durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.1.2022 die Kosten der ersten Instanz zugunsten des Verfügungsbeklagten festgesetzt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Verfügungsklägerin die Auffassung vertreten, die Regelung im Vergleich umfasse die Kostenerstattung in beiden Verfahren. Deshalb habe der Verfügungsbeklagte seinen "Kostenantrag" (gemeint wohl: Kostenfestsetzungsantrag) für die erste Instanz zurücknehmen müssen. Der Verfügungsbeklagte hat geltend gemacht, die Zusage, keinen Kostenantrag zu stellen, beziehe sich nur auf das Berufungsverfahren. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens enthalte der vor dem LG Lübeck geschlossene Vergleich keine Regelung.
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin hatte vor dem OLG Brandenburg keinen Erfolg.
II. Materiell-rechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren
1. Grundsätzlich keine Berücksichtigung
Nach Auffassung des OLG Brandenburg ist der von der Verfügungsklägerin erhobene Einwand, der Verfügungsbeklagte habe auf die Kostenerstattung für den vor dem LG Neuruppin geführten Rechtsstreit insgesamt verzichtet, im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen. Dies hat das OLG damit begründet, das Kostenfestsetzungsverfahren diene vom Ansatz her nur dazu, den in der vollstreckbaren Entscheidung enthaltenen Kostenausspruch der Höhe nach zu beziffern. Folglich seien materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Erstattungsanspruch grds. nicht zu berücksichtigen. Diese seien über den Weg des § 775 Nr. 4 und 5 ZPO (Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung bei Vorlage öffentlicher Urkunden oder eines Zahlungsnachweises) oder mit der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu verfolgen.
2. Ausnahmen
Von diesem Grundsatz wird nach den weiteren Ausführungen des OLG Brandenburg aus prozessökonomischen Gründen dann eine Ausnahme gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen der Einwendung feststehen (s. BGH RVGreport 2007, 111 [Hansens] = NJW 2007, 1213). Ein solcher Fall hat hier jedoch nicht vorgelegen.
3. Die Umstände im Fall des OLG Brandenburg
Das OLG Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass hier die Parteien zwar unstreitig in dem vor dem LG Lübeck am 31.8.2021 geschlossenen Vergleich eine Regelung über Kostenerstattungsansprüche des Verfügungsbeklagten getroffen hätten. Der Umfang dieser Regelung sei jedoch zwischen den Parteien streitig. Insbesondere sei umstritten, ob der Verzicht auf Kostenerstattungsansprüche sich auch auf die in der ersten Instanz vor dem LG Neuruppin und zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bereits zur Festsetzung angemeldeten Kosten erstrecke. Für eine Klärung dieser Streitfrage ist nach Auffassung des OLG Brandenburg das Kostenfestsetzungsverfahren nicht geeignet.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Berücksichtigung materiell-rechtlicher Einwendungen
Die Entscheidung des OLG Brandenburg liegt auf der Linie der ganz überwiegenden Rspr., wonach materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Kostenerstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren grds. nicht zu berücksichtigen sind, sondern vorrangig mit der Vollstreckungsgegenklage außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens geltend zu machen sind (s. BGH RVGreport 2010, 152 [Hansens] = JurBüro 2010, 252: Prozesskostenvorschuss; BGH RVGreport 2006, 233 [Ders.] = AGS 2007, 219: Verjährung; BGH RVGreport 2007, 110 [Ders.]: Nichtigkeit des zwischen der erstattungsberechtigten Partei mit ihrem Prozessbevollmächtigten geschlossenen Anwaltsvertrags; BGH RVGreport 2014, 318 [Ders.] = AGS 2014, 296: Aufrechnung; BAG RVGr...