§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO; § 198 Abs. 1 S. 1 GVG
Leitsatz
- Für eine überlange Verfahrensdauer kann grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommen.
- Ob das Beratungshilfeverfahren ein Verfahren i.S.d. § 198 GVG ist, gestaltet sich dabei fraglich.
- Prozesskostenhilfe kann mangels Erfolgsaussicht und, da die Kosten der Prozessführung der Partei vier Monatsraten und die aus dem Vermögen aufzubringenden Teilbeträge voraussichtlich nicht übersteigen, nicht bewilligt werden
KG Berlin, Beschl. v. 2.9.2022 – 7 EK 4/22
I. Sachverhalt
Eine Rechtsuchende beantragte am 30.7.2019 beim AG Beratungshilfe wegen einer bereits am 6.7.2019 per E-Mail durchgeführten Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt. Dem Sachverhalt lag folglich ein nachträglicher Beratungshilfeantrag zu Grunde. Etwa einen Monat später – am 15.8.2019 – wurde der die Beratung durchführende Rechtsanwalt vom AG angeschrieben und um Rücknahme des Antrags auf Beratungshilfe gebeten. Eine Reaktion erfolgte – ganz offensichtlich – nicht. Erst mit Schreiben vom November 2020 – also ein gutes Jahr später – teilte die Antragstellerin persönlich mit, dass zur Rücknahme nicht ihre Beratungsperson, sondern nur sie selbst befähigt sei. Wenige Tage danach rügte die Antragstellerin zudem die unangemessene Dauer des Verfahrens auf Bewilligung von Beratungshilfe und wies auf eine "erhebliche psychische Belastung durch das andauernde Bewilligungsverfahren und die Unsicherheit über die Finanzierung der Beratungskosten" hin. Sie begehrte Prozesskostenhilfe für die klageweise Geltendmachung von mindestens 1.400,00 EUR wegen der unangemessen langen Verfahrensdauer des Beratungshilfeverfahrens. Das KG lehnte den Antrag ab.
II. Kein überbordender Schaden und daher teilweise keine Erfolgsaussicht
Das KG vertrat die Ansicht, dass die Höhe des geltend gemachten Schadens offensichtlich unrealistisch sei. Soweit also ein realistischer Schadensbetrag überschritten sei, biete die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO, und sei insoweit nicht zu gewähren. Gem. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG werde derjenige angemessen entschädigt, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Nach § 198 Abs. 2 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gem. § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Die Entschädigung gem. § 198 Abs. 2 S. 2 GVG beträgt 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gem. § 198 Abs. 2 S. 3 GVG nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht gem. § 198 Abs. 2 S. 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen. Das KG sah hier letztlich keinen potentiellen Schaden in der geltend gemachten Höhe. Dabei berücksichtigte es, dass es sich um einen sog. nachträglichen Beratungshilfeantrag handelte, der "im Nachhinein" auf eine bereits erfolgte Beratung hin binnen 4 Wochen bei Gericht eingereicht werden muss. Folglich hatte die Ratsuchende ihre Beratung bereits erhalten. Ein Schaden läge folglich – wenn überhaupt – nur in Form eines (immateriellen) Schadensersatz i.H.v. 400,00 EUR billigerweise vor. Tatsächlich gehe es nämlich nur noch um die Abrechnung der Beratung durch den Rechtsanwalt. Im Falle der Bewilligung wäre gem. Nr. 2503 VV a.F. höchstens eine Geschäftsgebühr i.H.v. 85,00 EUR zzgl. Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV sowie Umsatzsteuer anzusetzen; es stehen mithin Kosten von maximal 121,38 EUR in Rede.
III. Keine Prozesskostenhilfe bei geringen Prozesskosten
Aufgrund der geringen denkbaren Schadenshöhe greift dann die obligatorische Vergleichsberechnung gem. § 115 Abs. 4 ZPO. Sind danach die voraussichtlichen Kosten des Rechtsstreits durch maximal vier Monatsraten sowie etwaige Zahlungen aus dem Vermögen gedeckt, kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht. Die Höhe der voraussichtlichen Kosten bemisst sich nach Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten der Partei selbst; die außergerichtlichen Kosten des Gegners bleiben bei der Berechnung unberücksichtigt. Ist eine Beweisaufnahme absehbar, sind auch deren voraussichtliche Kosten als gerichtliche Auslagen miteinzubeziehen. Das KG sah bei einem (eventuellen) Entschädigungsanspruch i.H.v. maximal 400,00 EUR die Ausnahmeregelung des § 115 Abs. 4 ZPO entsprechend anwendbar.
IV. Erfolgsaussicht; BerH-Verfahren ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 GVG?
Offen und durch die Anwendung von § 115 Abs. 4 ZPO unbeantwortet blieb die Frage, ob die Rechtsverfolgung auch im Hinblick auf einen Entschädigungsanspruch i.H.v. max. 400,00 EUR überhaupt hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Insofern äußerte das KG auch hier Bedenken, ob das Verfahren auf Bewilligung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG) überhaupt ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 GVG darstelle. Das KG ist offensichtlich aus verschiedenen Gründen der Ansicht, dass dem nicht so sei. Gegen die Anwendung von § 198 GVG auf die Fälle zögerlicher Berat...