§§ 38, 42 Abs. 1 u. 3 RVG
Leitsatz
Beim Verfahrenswert eines steckengebliebenen Stufenantrags ist erst dann auf den Auffangwert nach § 42 Abs. 3 FamGKG zurückzugreifen, wenn eine verständige Würdigung des Vorbringens des Antragstellers keine genügenden Anhaltspunkte für eine Festsetzung ergibt.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.8.2022 – 5 WF 52/22
I. Sachverhalt
Durch Jugendamtsurkunden vom 22.1.2016 hatte sich der Antragsgegner zur Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. je 128 % des jeweiligen Mindestunterhaltes der jeweiligen Altersstufe verpflichtet. Vertreten durch die betreuende Mutter reichten die Antragsteller am 11.12.2019 einen Stufenantrag gegen den Antragsgegner ein, in dem sie für den Fall des Übersteigens der Beträge in den Jugendamtsurkunden eine Erhöhung ab August 2018 beantragen. Nach teilweisem Anerkenntnis des Antragsgegners hinsichtlich der Auskunftsstufe erging insoweit ein Teil-Anerkenntnisbeschluss und Teilbeschluss. Ein Vollstreckungsverfahren schloss sich an. Das FamG setzte sodann den Verfahrenswert auf 10.000,00 EUR fest (für beide Kinder den Auffangwert nach § 42 Abs. 3 FamGKG). Der Antragsgegner erhob darauf Widerantrag gegen den Antragsteller mit dem Ziel einer Herabsetzung auf 120 % des jeweiligen Mindestunterhalts ab November 2019. Dieser Widerantrag wurde später zurückgenommen und der Hauptsacheantrag der Antragsteller für erledigt erklärt. Hiernach setzte das FamG den Verfahrenswert auf 11.330,00 EUR fest. Hinsichtlich der noch nicht bezifferten Hauptsacheanträge sei für beide Kinder jeweils auf den Auffangwert zurückzugreifen. Für den Widerantrag sei auf die konkrete Bezifferung abzustellen. Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerseite. Darin wird begehrt, die Hauptsacheanträge mit jeweils 500,00 EUR zu bemessen. Die Antragsteller hätten sich allenfalls vorgestellt, den Unterhalt um eine Einkommensstufe zu erhöhen.
II. Beschwerde ist als Beschwerde des Antragsgegners auszulegen
Es handelt sich um eine Beschwerde des Antragsgegners. Die Formulierung im Anwaltsschriftsatz "... legen wir ... Beschwerde ein." ist bei verständiger Auslegung als Beschwerde des Antragsgegners anzusehen, da der unterzeichnende Rechtsanwalt mit der begehrten Herabsetzung des Verfahrenswertes keine eigene Beschwer geltend machen würde, sodass seine Beschwerde unzulässig wäre.
III. Höherer Wert des Leistungsantrags ist maßgebend
Bei einem Stufenantrag wird neben dem Auskunftsanspruch auch der unbezifferte Zahlungsanspruch sogleich rechtshängig, wobei für den Verfahrenswert gem. § 38 FamGKG allein der höhere Anspruch maßgebend ist. Ist es zu keiner Bezifferung des Stufenantrags gekommen, ist nach § 42 Abs. 1 FamGKG der Wert zu schätzen.
IV. Leistungsantrag ist zu schätzen
1. Maßgebend sind die Vorstellungen des Antragstellers bei Einreichung
Maßgeblich für die Wertfestsetzung ist die aufgrund des Antrags zu schätzende realistische Erwartung des Klägers hinsichtlich des Zahlungsanspruchs bei Beginn der Instanz (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.1.2022 – 6 WF 1/22, juris Rn 7).
2. Rückgriff auf § 42 Abs. 3 FamGKG nur bei fehlenden Anhaltspunkten
Wenn sich allerdings objektive Anhaltspunkte für die erkennbaren Erwartungen des Stufenantragstellers zur Höhe seines Anspruches bei Einreichung des Stufenantrages überhaupt nicht feststellen lassen, ist der Auffangwert nach § 42 Abs. 3 FamGKG heranzuziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2022 – XII ZB 418/21, juris Rn 19; OLG Koblenz Beschl. v. 12.11.2020 – 13 WF 746/20, juris Rn 3). Genügende Anhaltspunkte in diesem Sinne bedeuten weniger als eine Wahrscheinlichkeit oder gar eine Gewissheit, sind allerdings mehr als eine nur theoretische Möglichkeit. Ein Anhaltspunkt liegt also jedenfalls dann vor, wenn die Sache bei einer vernünftigen Betrachtung als durchaus möglich erscheint, mag sie auch nicht gerade wahrscheinlich sein (Toussaint/Zivier, Kostenrecht, 52. Aufl., 2022, § 36 GNotKG Rn 25).
3. Genügende Anhaltspunkte sind hier gegeben
Nach diesem rechtlichen Maßstab bestehen genügende Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Verfahrenswertes.
Zwar ergibt sich aus den Ausführungen der Antragsteller in der Antragsschrift vom 11.12.2019 weder, auf welchem konkreten Einkommen des Antragsgegners die am 22.1.2016 errichteten Jugendamtsurkunden über die Verpflichtung zur Zahlung von 128 % des Mindestunterhaltes beruhen, noch von welchem Einkommen die Antragsteller aktuell ausgehen und dass dieses wesentlich über den damals angenommenen Einkommensverhältnissen liegen könnte. Ihre konkreten Vorstellungen haben die Antragsteller auch später nicht formuliert. Im vorliegenden Verfahren über die Wertbeschwerde des Antragsgegners haben sie aber dessen Behauptung, es sei ihnen allenfalls um die Erhöhung um eine Einkommensstufe gegangen, nicht widersprochen. Allerdings würde eine solche Abänderung um lediglich eine Stufe rechtlich nicht möglich sein, weil der Abänderungsbetrag unter der Wesentlichkeitsschwelle von 10 % nach § 238 Abs. 1 S. 2 FamFG liegen würde. Bei verständiger Auslegung ist daher von zwei Stufen auszugehen. Dies ergibt für den hier gem. § 51 Abs. 1 u. Abs. 2 FamGKG relevanten Zeitraum von August 2018 bis Dezember 2020 bei Unterschiedsbeträgen...