Der Entscheidung des OLG Brandenburg ist zuzustimmen.

1. Keine Kostenfreiheit

Ausweislich des Gutachtenauftrages der Staatsanwaltschaft Potsdam ging es um verschiedene gebührenrechtliche Fragen, nämlich einmal, ob die Leistung des späteren Angeklagten als Beratungstätigkeit i.S.v. § 34 Abs. 1 RVG anzusehen sei, ob es sich bei der Beratung zur Scheidungsfolgevereinbarung um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit oder um eine neue Angelegenheit gehandelt hat. Für den Fall, dass der spätere Angeklagte irrtümlich davon ausgegangen sei, es habe sich um eine neue gebührenrechtliche Angelegenheit gehandelt, ging es ferner um die Frage, ob er die berechnete 1,0-Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV (richtig wohl Nr. 2300 VV) zutreffend in Rechnung gestellt hatte.

Vergütungsvereinbarungen i.S.v. §§ 3a, 4a RVG waren somit überhaupt nicht Gegenstand der gutachterlichen Tätigkeit der Rechtsanwältin X. Außerdem sollte sich der Vorstand der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg nicht dazu äußern, ob die berechnete Geschäftsgebühr unangemessen hoch ist. Somit waren schon vom Inhalt des erbetenen Gutachtens die Regelungen über die kostenlose Erstattung in § 3a Abs. 3 S. 2 RVG und § 14 Abs. 3 S. 2 RVG nicht einschlägig.

Zutreffend weist das OLG Brandenburg darauf hin, dass die Regelung des § 14 Abs. 3 S. 1 RVG um die Höhe von Rahmengebühren nur den Rechtsstreit zwischen dem Rechtsanwalt und dem Auftraggeber betrifft (s. BFH RVGreport 2006, 20 [Hansens]; BVerwG RVGreport 2006, 21 [Hansens]; BSG AGS 2010, 373). Teilweise wird diese Vorschrift auch in einem Erstattungsprozess gegen den Haftpflichtversicherer nach einer Unfallschadensregulierung angewandt (offen: BGH AGS 2008, 539). Jedenfalls gilt diese Vorschrift nicht für Gutachten, die im Rahmen (der Vorbereitung) eines Strafprozesses von der Staatsanwaltschaft, der Amtsanwaltschaft oder dem Gericht eingeholt werden.

2. Rechtsnatur des Gutachtens

Über die von § 3a Abs. 3 RVG und § 14 Abs. 3 RVG erfassten Fälle hinaus kann der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auch mit der Erstellung anderer Gutachten beauftragt werden. So kann – wie es hier der Fall war – auch die Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Gebührenüberhebung nach § 352 StGB ein Gebührengutachten anfordern (s. die Konferenz der Gebührenreferenten, BRAK-Mitt. 1985, 142; Weyland, BRAO, 10. Aufl., 2020, § 73 BRAO Rn 54). Die Erstattung eines Gutachtens nach § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO obliegt dem Gesamtvorstand der Rechtsanwaltskammer bzw. einer von dem Vorstand gem. § 77 BRAO gebildeten Abteilung. Der Vorstand kann – wie sich aus § 73 Abs. 4 BRAO ergibt – die Erstattung des Gutachtens auch nicht auf ein einzelnes Mitglied des Vorstandes, auch nicht auf seinen Präsidenten übertragen (Weyland, a.a.O., § 73 BRAO Rn 55; Henssler/Prütting/Hartung, BRAO, 5. Aufl., 2019, § 73 BRAO Rn 50). Deshalb war es wohl berufsrechtlich nicht ganz in Ordnung, dass hier Rechtsanwältin X als Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg die von der Staatsanwaltschaft erbetene gutachtliche Stellungnahme abgegeben hatte. Etwas anderes dürfte für die mündliche Erläuterung des vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer zu erstattenden Gutachtens gelten. Zum Gerichtstermin muss nicht der gesamte Vorstand oder eine von ihm gebildete Abteilung erscheinen. Es genügt, wenn der Vorstand der Rechtsanwaltskammer bzw. die entsprechende Abteilung den zuständigen Berichterstatter beauftragt, das Gutachten in der Hauptverhandlung mündlich zu erläutern.

3. Vergütungspflicht

Zwar werden von einigen Rechtsanwaltskammern auch für die Erstellung von Gutachten, die über die Regelungen in § 3a Abs. 3 S. 2 RVG und § 14 Abs. 3 S. 2 RVG hinausgehen, vielfach keine Gebühren erhoben (s. Weyland, a.a.O., § 73 BRAO Rn 56c; Henssler/Prütting/Hartung, a.a.O., § 73 BRAO Rn 50: Gebührenpflichtige Gutachten nur bei den Rechtsanwaltskammern Berlin, Freiburg und Nürnberg). Teilweise haben die Rechtsanwaltskammern für die Erstellung von Gutachten nach § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO Gebührenordnungen eingeführt. Ein Anspruch der Rechtsanwaltskammeraus der Staatskasse nach § 1 Abs. 1 JVEG dürfte jedoch nur i.H.d. in § 9 Abs. 1 JVEG i.V.m. der Anlage 1 bestimmten Beträge bestehen. So hat das BVerwG (RVGreport 2018, 155 [Hansens]) entschieden, dass die gerichtliche Festsetzung der Vergütung von Sachverständigenleistungen, die eine Steuerberaterkammer auf gerichtliche Anordnung erbringt, den Erlass konkurrierender Vergütungsregelungen durch die Steuerberaterkammer ausschließt. Vielmehr besteht ein Anspruch der Steuerberaterkammer nur auf Zahlung eines Honorars nach Maßgabe der Bestimmungen des JVEG. Dies gilt dann auch für die Rechtsanwaltskammern.

VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin

AGS 10/2023, S. 473 - 475

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